Hardcore - Wie ein Schlag ins Gesicht: ein First-Person-Shooter als Kinofilm

Der Film »Hardcore« des russischen Regisseurs Ilya Naishuller ist ein »First Person Shooter« auf der großen Leinwand. Ein absolut sehenswerter wie körperlich anstrengender visueller Trip.

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Hardcore vom russischen Regisseur startet am 14.4. in den deutschen Kinos mit einer Altersfreigabe ab 18 Jahren. Der Film spielt komplett in der FPS-Perspektive. Hardcore vom russischen Regisseur startet am 14.4. in den deutschen Kinos mit einer Altersfreigabe ab 18 Jahren. Der Film spielt komplett in der FPS-Perspektive.

Videospieler sind es gewohnt, ganze Geschichten aus den Augen des Protagonisten zu erleben. Nicht erst, aber vor allem durch Half-Life 2 schaffen es Spiele, die FPS-Perspektive so einzusetzen, dass sie sich mit den meist stummen Helden stärker identifizieren und in fremde Welten entführen lassen. Auch Filme haben schon vereinzelt Versuche unternommen, die subjektive Ich-Perspektive einzunehmen. Prominentes und jüngstes Beispiel ist die kurze FPS-Hommage aus der Verfilmung von »Doom«.

Achtung - leichte Spoiler: In der Filmrezension zu Hardcore wird auf einige Story-Aspekte des Films eingegangen. Das betrifft die Ausgangssituation und einige beispielhafte Action-Szenen. Bei diesen Darstellungen bleibt der Artikel möglichst inkonkret, wer allerdings gar nichts über die Handlung von Hardcore wissen will, sollte mit dem Lesen der Kritik bis nach dem Kinobesuch warten.

Hardcore ist kein Wohlfühl-Film

Doch der russische Regisseur Ilya Naishuller geht einen Schritt weiter und zieht dieses Vorhaben in seinem Filmdebut »Hardcore« (auch als »Hardcore Henry« in anderen Ländern gestartet) konsequent über 90 extrem anstrengende, aber faszinierende Minuten durch. Die Zuschauer verlassen nicht ein einziges Mal den Kopf des Hauptdarstellers. Dank einer selbstgebauten Helm-Apparatur aus GoPro-Kameras lässt der Regisseur sein Publikum zu temporären Leidgenossen und Gefangenen werden, die jeden knackenden Faustschlag und jede Flugrolle der Hauptfigur hautnah miterleben.

Das klingt nicht nur extrem verwirrend, das ist es auch. Hardcore ist kein Wohlfühl-Film, sondern fordert und überfordert seine Zuschauer permanent wie eine Achterbahnfahrt auf nüchternen Magen. Doch das macht der Regisseur sehr bewusst und mit einem guten Gefühl für Timing und der richtigen Portion Ironie.

Als Cyborg-Protagonist Henry erwachen wir, typischerweise mit Amnesie geplagt und folglich ohne Erinnerungen an unser früheres Leben, in einem Labor und werden von einer jungen Frau im Arztkittel begrüßt, die sich als unsere liebende Ehefrau und betreuende Hausmechanikerin vorstellt. Während sie sich noch um die richtige Montage unseres bionischen Arms kümmert, bricht bereits das Chaos im Labor aus und die Flucht beginnt. Henry springt, ballert, mordet, hechtet und fällt daraufhin ohne Atempause von Brücken und Hubschraubern, klettert an Häuserwänden empor und vollbringt Parkour-Stunts wie Faith in Mirror's Edge.

Von Level zu Level zu Level...

Aus der Flucht wird schnell ein Rachefeldzug und wie in einem Spiel begleiten wir Henry von Level zu Level, bis der Held schlußendlich beim großen Bosskampf angelangt sind. Auf dem Weg dahin werden Spieler etliche Referenzen und Hommagen wiederfinden. Der Regisseur kennt die typischen Muster des Shootergenres und das merkt man dem Film auch an vielen Stellen an. Sei es das Finden von neuen und besseren Waffen, das typische Hervorschauen aus hüfthohen Deckungen, die montierte Railgun im Beiwagen in der obligatorischen Verfolgungsszene oder die Benutzung von zwei Waffen gleichzeitig: in sehr vielen Szenen kann man zwischen Videospielästhetik und Film fast nicht mehr unterscheiden.

Hardcore - Neuer Spot zum Ego-Shooter-Film Video starten 1:22 Hardcore - Neuer Spot zum Ego-Shooter-Film

Spätestens wenn nach einer Welle von erledigten »Standard-Gegnern« ein etwas stärkerer, mit Muskeln bepackter größerer Bösewicht durch die Tür tritt, ist klar: das ist eine typische »Zwischenboss«-Sequenz. Natürlich braucht dieser Gegnertyp mehr als nur einen Schlag und den cleveren Einsatz eines »Special-Moves«.

Dafür birgt er aber auch mehr Belohnung nach erfolgreichem Kampf. Der finale Bosskampf und seine fragwürdige Motivation schließlich könnte in der Form fast identisch in einem beliebigen Spiel auftauchen, ohne, dass man sich darüber wundern würde. Dass der Hauptcharakter Henry wie in den meisten Shootern außer Schmerzlauten nicht ein Wort von sich gibt, wird sogar am Anfang des Films mit einem kleinen Star-Wars-Gag stimmig erklärt.

Der Oskar für den besten NPC geht an...

Der Film läuft nicht in Echtzeit ab, sondern unterstreicht das panische Gefühl des getriebenen Hauptcharakters durch ständiges Vorwärtsspringen in der Zeit. Befand sich Henry gerade noch in der russischen Tundra, findet er sich kurz darauf in einem russischen Bordell oder in einer alten Bunkeranlage wieder. Der Weg ist das Ziel und der veränderte Hintergrund nur eine neue Berechtigung, wieder Feinde mit schweren Waffen präsentieren zu können. Die Pausen zwischen der Action sind extrem kurz und rar gehalten, überzeugen aber durch einen voller Spielfreude auftrumpfenden Sharlto Copley (bekannt aus District 9), der den perfekten NPC mimt und auch den Großteil der Geschichte und des übergreifenden Mysteriums des Films transportiert.

Intellektuell verlangt der Film sehr wenig bis garnichts von seinem Publikum. Die einzige Herausforderung besteht darin, dem hohen Tempo des Films und den vielen Zeitsprüngen zu folgen, keine Kopfschmerzen zu bekommen und wegen Motion-Sickness den Saal verlassen zu wollen. Die Geschichte ist extrem banal, an vielen Stellen leider auch plump pubertär und inhaltsleer - bleibt damit also auch einigen Vorbildern des Shootergenres in diesem Punkt absolut treu.

Das trifft übrigens auch auf die Brutalität des Films, der in Deutschland eine Altersfreigabe ab 18 Jahren erhalten hat, zu. Da greift der Cyborg schon mal beherzt (im wahrsten Sinne des Wortes) in bester Mortal-Kombat-Manier durch einen Brustkorb hindurch. Da das Publikum in den Augen des Protagonisten steckt, erübrigt sich die Erklärung, dass den Zusehenden dabei kein blutiges Detail erspart bleibt.

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Dennoch verliert der Film nie seine selbstreferenzielle und popkulturelle Ebene. Als sich Henry an einer Stelle auf dem Rücken eines Pferdes wiederfindet, ertönt für einen kurzen Moment der Titelsong aus der TV-Serie Bonanza. Und auch mit der eigentlich fixen Kameraperspektive passieren ein paar filmische Kniffe, die man so im Kino noch nicht erleben durfte. Schon gar nicht aus dieser Perspektive. Sehenswert und einzigartig!

Vom Musikvideo zum Kinodebut

Die Idee zu dem Film entstand durch die Arbeiten an den beiden Musikvideos »The Stampede« und »Bad Motherfucker« der Band Biting Elbows des Regisseurs. Beide Videos wurden bereits mit umgeschnallten GoPros aus der Ich-Perspektive gefilmt und erinnerten an den Clip zu »Smack my Bitch up« der Band Prodigy. Nach dem viralen Erfolg beider Clips wollte Naishuller den Beweis antreten, dass dieses Konzept auch über 90 Minuten auf der Leinwand funktionieren kann und schrieb das Drehbuch zu »Hardcore«.

Auf der Crowdfunding-Plattform Indigogo sammelte der Regisseur dann für die Finalisierung des Films weitere 250.000 US-Dollar ein und veröffentlichte den ersten Clip aus dem Film, in dem bereits Sharlto Copley sein schauspielerisches und komödiantisches Können unter Beweis stellen durfte. Der Film entstand dann schlussendlich unter der Mithilfe von Produzent Timur Bekmambetov (Wanted).

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