Mafia 3 - Meinung: Open World war keine gute Entscheidung

Für Dom ist die offene Spielwelt wohl die größte Schwäche von Mafia 3. Während Bugs und Glitches noch immer mit einem rettenden Patch entfernt werden können, scheint New Bordeaux seinen Schaden am Spielspaß unrettbar angerichtet zu haben.

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Ich glaube, dass Mafia 3 ohne offene Welt ein deutlich besseres Spiel geworden wäre. Das denke ich mir, während der Tacho die zehnte Spielstunde anzeigt und drei neue optionale Missionen auf dem Bildschirm blinken: Begib dich in den Süden der Stadt und zerstöre fünf Brauereien deines Rivalen, danach bitte in den Norden und eine kleine Gruppe Raufbolde aufmischen, anschließend drei Kisten voller Drogen mitten im Ozean aufsammeln und diese mit Boot und Lastwagen in die Innenstadt zurückfahren. Es ist das Einmaleins aller Open World-Spiele: Mehr oder weniger sinnvolle Nebenaufgaben, die uns durch die Welt führen und abseits der Hauptgeschichte beschäftigen sollen. Doch in Mafia 3 ärgere ich mich ganz besonders über die Aufforderung zum Zeitvertreib und würde am liebsten bis zum Abspann durch einen engen Storyline-Schlauch wandern. »Ist er denn wahnsinnig?«, höre ich euch schon tippen, aber manchmal ist spielerische Freiheit eben nicht der Schlüssel zum Spielspaß, sondern das Schloss für die Tür davor.

Qualität über Quantität

Mein Problem mit der offenen Welt beginnt bereits wenige Schritte nach dem Prolog: New Bordeaux macht es mir unheimlich schwer, diese Stadt als lebendigen Schauplatz meiner Geschichte zu akzeptieren. Bereits auf technischer Ebene beginnen hier für mich die Probleme, deren Ausläufer dann allerdings noch weitaus tiefer reichen.

Ich bin kein Spiele-Entwickler und habe, von einigen einfachen, selbstgemachten Textadventures abgesehen, bisher nur fasziniert, nicht aber als Fachmann auf Code-Reihen und Zahlenfolgen geblickt. Und dennoch wage ich zu behaupten, dass eine offene Spielwelt mit all ihren Variablen und gleichzeitig ablaufenden Prozessen eine technisch weitaus größere Herausforderung darstellt als ein aufwändig inszenierter, aber eng geführter Story-Schlauch. Und dieser Anspruch, den eine offene Spielwelt an seine Entwickler stellt, fordert Opfer: Open World kann im Gegensatz zu eng gefassten Spielplätzen nie ein vollständiges, vollkommenes Bild erschaffen - irgendwo stolpert immer ein Passant über ein unsichtbares Hindernis oder ein Auto fährt statt auf die Überholspur seelenruhig in einen See.

In vielen Spielen sorgen diese unfreiwillig komischen oder bizarren Szenen für lustige Momente, die oftmals als GIF oder Video kreuz und quer im Internet geteilt werden. Doch wo ich in GTA 5 über eine Katze lache, die ein Auto explodieren lässt, fühle ich mich in Mafia 3 an der Seite von Lincoln maximal unwohl, sobald die Spielwelt ihre Fehlerchen zeigt.

Selten lustig, meistens unangenehm: Die Glitches in Mafia 3 schaden der sensiblen Geschichte. Selten lustig, meistens unangenehm: Die Glitches in Mafia 3 schaden der sensiblen Geschichte.

Ein kleines Beispiel: Ein interessantes Feature von Mafia 3 ist es, dass Ladenbesitzer auf das Erscheinen von Lincoln Clay mit rassistischen Kommentaren und Verboten reagieren. »Wir bedienen hier nur Weiße!« heißt es dann, die Androhung eines Anrufs bei der Polizei folgt direkt danach. Doch für die Wählscheibe des Telefons ist die KI zu doof - und direkt am Tiefkühlfach entdecken wir außerdem zwei schwarze Frauen, die sich kichernd unterhalten. Es ist ein Fehler im Spiel, bedingt und begünstigt durch die zahlreichen Variablen, die in leichtherzigeren Welten für Schmunzler sorgen, im von Rassismus und Klassenkämpfen zerrissenen New Bordeaux stattdessen aber nur irritieren und mich nicht zuletzt auch aus der Spielwelt reißen. Die Wirkungskraft der Geschichte von Mafia 3 funktioniert nur in einer authentischen, eindringlichen Spielwelt - und die wird regelmäßig durch die Spielwelt selbst gefährdet.

Auch an anderen Stellen leidet die so wichtige Inszenierung der spannenden Hauptgeschichte unter fehlenden Ressourcen, die in eine andere Stelle der Spielwelt gesteckt wurde. Regelmäßig kehren wir beispielsweise zu den immer gleichen Auftraggebern zurück, um neue Missionen abzuholen und über errungene Erfolge zu berichten. Die Gespräche hier sind allerdings auf eine Weise in Szene gesetzt, die nicht nur Filmfans bittere Tränen in die Augen und das Gähnen in den Mund treiben: Schräg von oben starren wir auf Lincoln, der zurückhaltend in Richtung einer anderen Person gestikuliert, die ebenso regungslos im Raum herumsteht. Diese Szenen, die teilweise mehrminütige, für die Hintergrundgeschichte durchaus wichtige Gespräche rahmen, bekommen keine Zwischensequenz, nicht einmal zwei verschiedene Kameraeinstellungen zugestanden. Hier fehlten offenbar die Ressourcen – dafür darf ich einen Häuserblock mehr umrunden. Na, danke.

Eine riesige, leblose Theaterkulisse

Abseits der Bugs stört mich allerdings noch weitaus mehr, dass es generell kaum Möglichkeiten für mich und Lincoln gibt, am Stadtleben tatsächlich auch teilzunehmen oder mit den Einwohnern von New Bordeaux auf irgendeine Weise zu interagieren.

Unsere Möglichkeiten, mit der Spielwelt zu interagieren, sind enorm beschränkt. Unsere Möglichkeiten, mit der Spielwelt zu interagieren, sind enorm beschränkt.

Der einzige und gleichzeitig häufigste Weg, Kontakt mit den Stadtbewohnern aufzunehmen, sind die bereits oben angesprochenen Ladendiebstähle: Dank der KI ist es dabei weitestgehend egal, ob ich mich durch die Hintertüre schleiche oder den Vordereingang nehme, in beiden Fällen aber ist mein Ziel die Geldkasse. Während ich mich an der vollen Börse abrackere, kommentieren hier und da die Zuschauer das Geschehen: »Was macht er denn da?«, »Zutritt nur für Personal!«, »Ist nicht persönlich gemeint, aber wir bedienen nur Weiße!« Nickend kommentiert Lincoln die schon tausendfach gehörten Sätze, steckt die Beute ein und verzieht sich wieder. Mehr Interaktion ist in diesen Situationen einfach nicht drin - fatal für ein Spiel, durch dessen Welt wir von Mission zu Mission so oft gejagt werden.

Dom Schott (@R3nDom):
Dom spaziert gleichermaßen gerne durch riesige Spielwelten und geradlinige, kurze Story-Schläuche. Beide Modelle bieten ihre Vorteile, stellen Entwickler aber auch vor ganz eigene Herausforderungen. Ausgerechnet Mafia 3, dass die Stärken von Open World hervorragend hätte nutzen können, scheitert hier grandios. New Bordeaux ist leblos, hölzern und tut der sonst spannenden Story keinen Gefallen.

Auch hier gibt es andere Open World-Titel, die die Stärken ihrer Welten voll ausspielen können: Assassin's Creed Syndicate beispielsweise generiert regelmäßig in unserer Umgebung inmitten der Menschenmengen neue optionale Missionen, die relativ abwechslungsreich sind und manchmal sogar neue Hauptmissionen eröffnen. GTA 5 hat Los Santos mit einer unglaublichen Zahl an Mini-Spielen vollgestopft, während The Witcher 3 uns als Zeitvertreib »nur« Gwent-Spiele anbieten kann, dafür allerdings jedem zweiten NPC eine eigene Hintergrundgeschichte und Gesprächsoptionen in die Hand drückt. In diesen Welten gibt es viel zu sehen und zu erleben, New Bordeaux wirkt hingegen wie eine riesige, statische Theaterkulisse, vor der Lincoln seine Rachegeschichte Akt für Akt erzählt.

Neue Perspektive, altbekannte Probleme

Offene Spielwelten sind »High risk, high reward«-Wagnisse: Es ist eine riesige logistische, technische und erzählerische Herausforderung, die vielen Variablen und Möglichkeiten im Blick zu haben, um nur dort Chaos entstehen zu lassen, wo es dem Spiel als Ganzes nicht schadet. Gelungene Open World-Spiele können voller Geschichten, Entdeckungen, Möglichkeiten und Magic Moments stecken, die Story-Schlauchkanäle hingegen erst angestrengt inszenieren müssen. Aber diese Spiele sind selten - und tatsächlich hätte Mafia 3 zu ihnen gehören können.

Lincoln Clay muss eine schwierige Geschichte erzählen — die Spielwelt ist ihm dabei leider keine große Hilfe. Lincoln Clay muss eine schwierige Geschichte erzählen — die Spielwelt ist ihm dabei leider keine große Hilfe.

Zwar mag Mafia 3 mit seiner Rachegeschichte keine originelle Story präsentieren können, doch die Perspektive ist für Videospiele außerordentlich einzigartig: Der schwarze Kriegsheimkehrer Lincoln Clay lebt in einer Zeit, in der Rassismus von der Mehrheit der Bevölkerung offen zur Schau gestellt und gelebt wurde. Dieser Umstand wird allerdings nicht nur von der Storyline und ihrem (toll inszenierten!) Reportage-Stil erzählt, sondern auch hin und wieder vom Gameplay selbst aufgegriffen. Neben den schon erwähnten Kommentaren von Ladenbesitzern sind in ärmeren Vierteln von New Bordeaux kaum Polizisten vor Ort, während bewaffnete Verstärkung deutlich langsamer anrückt als in den gut betuchten Innenstadtvierteln der weißen Oberschicht. Es ist eine mächtige Botschaft und ein eindrückliches Bild, das Mafia 3 hier mit den Mitteln einer offenen Spielwelt zeichnet und die so niemals in einem choreographierten Story-Schlauch funktionieren würde.

Doch diese starken Momente, in denen die Entwickler die Möglichkeiten ihrer selbst erwählten Spielwelt ausnutzen, sind viel zu selten, um all die anderen ungenutzten Chancen ausblenden zu können. Manch einer mag nun sagen, dass Mafia und offene, atmosphärische Spielwelten traditionell zusammengehören. Doch Mafia 3 und Lincolns Geschichte ist alles andere als traditionell und hätte deswegen nach einer neuen Idee verlangt, statt nur einen neuen Hauptcharakter vor überholte, leblose Kulissen zu stellen. Open World ist alles andere als ein Erfolgsrezept, sondern vielmehr eine schwierige Herausforderung, an der Mafia 3 meiner Meinung nach schließlich leider gescheitert ist.

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