Thomas Dlugaiczyk - Interview mit dem Rektor der Games Acadamy

Wie steht die Berliner Games Academy zu Gewalt in Videospielen? Gibt es einen Zusammenhang zwischen Spielen und echter Gewalt?


1) Welche Trends haben Sie in den letzten Jahren bei Videospielen beobachten können?

In den letzten 15 Jahren sehr viel. Zunächst der Einzug der großen Software- und Elektronikriesen wie Sony und Microsoft und die damit verbundene Renaissance der Konsolen. Mitte der 90er Jahre dann die ersten Online-Spiele, deren aktuelle Vertreter in aller Munde sind. Und generell eine enorme Verbesserung der graphischen Inhalte.

2) Sie haben es bereits angesprochen: die Graphik der Videospiele wird immer realer. Können Sie sich vorstellen, dass es irgendwann wieder eine Gegenbewegung beispielsweise in Richtung „Tetris“ geben wird?

Diese Bewegung ist ungebrochen. Der Erfolg von Spielen wie etwa Dr. Kawashima´s Gehirnjogging auf dem Nintendo DS ist ein klarer Beweis dafür, dass elektronische Spiele sehr vielfältig und nicht von Grafikpower oder Rechenleistung abhängig sind.

3) Welche Bedeutung haben Videospiele in unserer Gesellschaft?

Spiele haben eine wichtige Funktion. Sie machen sowohl Selbstdarstellung und Kommunikation als auch Wettbewerb für Menschen außerhalb der klassischen Arbeitswelt möglich. Gleichzeitig dienen Videospiele als Einstieg für den richtigen Umgang mit dem Computer. Ohne Computerwissen ist eine erfolgreiche berufliche Entwicklung zukünftig kaum noch möglich. Und die Fähigkeiten dazu erlernen Kinder spielerisch durch Videogames.

4) Welche wirtschaftliche Bedeutung hat die Video- und Computerspielindustrie für Deutschland?

Deutschland ist kein sehr starkes Entwicklungsland. Leider hat die Öffentlichkeit traditionell große Vorbehalte gegen dieses Medium. Ausdruck dieser Vorbehalte ist ein international sehr strenges Jugendschutzsystem, welches vor allem auf Probleme und Gefahrenpotentiale verweist und diese in der Öffentlichkeit thematisiert. In diesem gesellschaftlichen Klima kann eine Entwicklungslandschaft nur eingeschränkt florieren.

Spitzenreiter in der internationalen Entwicklung sind die USA, Japan, Großbritannien und Frankreich, aber auch die skandinavischen Länder. Dort gibt es in der Regel weniger rigide gesetzliche Bestimmungen und einen offneren Umgang mit neuen Technologien.

5) Wie erklären Sie sich Trends wie „Second Life“?

Second Life ist kein Spiel. Es ist mehr ein virtueller Vermarktungsplatz und ein Testlabor für virtuelle Wirtschaftssysteme.

6) Wie weit werden Videospiele in Zukunft unseren Alltag beeinflussen? Kann es irgendwann zu einer Verschmelzung von virtueller und realer Welt kommen?

Das ist eine sehr spekulative Frage. Vielmehr ist zur fragen, ob Menschen irgendwann in virtuellen Welten leben können oder wollen. In Second Life entstehen virtuelle Wirtschaftssysteme. Wird das Land zum Verkauf knapp, stellt das Unternehmen einfach neue Server hin. Ist das nicht verrückt?

7) Können Videospiele Ihrer Meinung nach süchtig machen? Ab welchem Grad kann man von Sucht sprechen?

Ja, so wie man auch von Zucker abhängig werden kann. Sucht wird zum Problem, wenn Sie anfängt, das Leben zu beherrschen. Daher müssen vor allem Kinder dabei unterstützt werden, Videogames maßvoll in Ihr Leben zu integrieren und eine Dominanz zu verhindern. Selbst der Sohn von Bill Gates hat eingeteilte Computerzeiten.

8) Welche Meinung haben Sie zu Egoshooter-Spielen?

Die Geschichte der Egoshooter ist untrennbar mit der Videospielbranche weltweit verbunden. Diese Games repräsentieren immer wieder die neusten graphischen und spieltechnischen Technologien, die später dann in anderen Industriebereichen genutzt werden. Anspruchsvolles Game Design bieten diese Spiele allerdings nur selten; Es geht um Dynamik, Aktion und Strategie in Gruppen.

Zielgruppe dieser Spiele war schon immer ein älteres, männliches Publikum. Für Kinder und Jugendlichen unter 16 Jahren sind diese Spiele entwicklungsbedingt meiner Meinung aber nicht geeignet.

9) Sehen Sie einen Zusammenhang zwischen brutalen Spielen und echter Gewalt bei Jugendlichen?

Nur sehr eingeschränkt. Jugendliche Männer und junge männliche Erwachsene sind in ihrer Entwicklungsphase sehr von geschlechtsspezifischer Konkurrenz geprägt. Sich untereinander messen können und Abenteuer erleben ist ihnen wichtig. Die Gesellschaft bietet dafür wenig Freiraum; anders die virtuellen Welten: Kämpfen, gegeneinander antreten, verlieren und siegen ist dort friedlich und ohne blaue Flecke möglich. Innerhalb der Netzwerke bestehen klare Regeln und die Teilnehmer erziehen sich gegenseitig zur Einhaltung dieser Normen.

Meiner Meinung hört das intensive Spielen aber fast immer auf, wenn eine feste Partnerin gefunden ist und der „Ernst des Lebens“ beginnt. Deshalb warne ich ausdrücklich davor, diese Spiele und Spieler zu kriminalisieren.

10) Welche Rolle sollten Familie und Politik beim Thema „Videospiel“ spielen?

Der Plan, zum Beispiel das Erziehungsprivileg quasi abzuschaffen, geht in die falsche Richtung. Vielmehr muss die Familie in der Medienerziehung gestärkt werden. So genannte „Killerspiele“ werden derzeit instrumentalisiert. Aufgrund der großen Anzahl spielbegeisterter Jugendlicher sind die geplanten Maßnahmen kontraproduktiv, die außer frühzeitiger Staatsverdrossenheit, Frustration und Zweifel gegenüber unserer Gesellschaft nichts bringen. Dem Schutz oder der Verbesserung von Lebens- und Entwicklungsbedingungen der jungen Generation dienen diese Aktionen jedenfalls nicht. Hinzu kommt, dass die aktuellen Regelungen im deutschen Jugendschutz von der Zugriffsdichte und Stringenz schon jetzt über denen aller westlichen Industrienationen liegen.

Außerdem stellt sich die Frage, ob die Politik Ihren erwachsenen Bürgern – und dazu gehören auch junge Erwachsene ab 18 Jahren – vorschreiben darf, welche Computerspiele sie spielen.

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