Unbequeme Entscheidungen in Spielen - Kein dritter Weg

Entscheidungen in Spielen müssen unbequem sein, im echten Leben gibt es auch keine goldenen Mittelwege. Das können Spiele von der Politik lernen.

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Bessere Infrastruktur, bessere Bildung, bessere Lebensbedingungen, eine brutalstmögliche Aufklärung der Verbrechen der zuvor in Chimerica herrschenden Diktatur: Zwei Jahre ist es her, dass ich diese Versprechen zum Amtsantritt abgab. Und um mein Reformprogramm zu finanzieren, habe ich natürlich auch Entwicklungshilfe von kommunistischen Staaten angenommen.

Den USA gefällt das nicht. Weshalb die CIA den Hafen meiner Hauptstadt vermint, rechtsgerichtete Rebellen trainiert und eine nationale Zeitung übernommen hat, die mit so aggressiven Lügen gegen meine Regierung anschreibt, dass ich die Wahl gegen meinen amerikafreundlichen, erzkonservativen Konkurrenten verlieren werde. Ähnlich hat man immerhin schon 1953 Mohammad Mossadegh im Iran abgeschossen.

Dieses Szenario aus Hidden Agenda (1988) ist mir noch so deutlich im Gedächtnis, weil es mir die Augen in bis dahin ungeahnter Form öffnete. Das Spiel zwang mich in eine Situation, in der ich unverhohlen entscheiden musste, ob ich gewillt war, für das größere Wohl meine eigenen Prinzipien über den Haufen zu werfen. Es schlug mir quasi ins Gesicht und fragte: »Na, wie sieht's aus, Herr Redefreiheit-muss-auch-für-Unappetitliches-gelten?«

WASD-Magazin

Dieser Text stammt ursprünglich aus der zweiten Ausgabe von »WASD - Texte über Games«. WASD ist ein Essaymagazin, das alle sechs Monate in einer kleinen Auflage erscheint und sich diesmal auf 216 Seiten mit dem Reizthema »Politik in Spielen« auseinandersetzt.

» Mehr Infos zu WASD - Texte über Games

Es war nicht so, wie Angela Merkel gerne für sich behauptet, dass mein Handeln in dieser Situation »alternativlos« gewesen wäre. (Obwohl ein Fehler in der Spielmechanik mich tatsächlich teilweise zum alternativlosen Handeln zwang.) Aber mein Handeln war massiv eingeschränkt, mir blieb nur die Wahl zwischen zwei gleichsam unangenehmen Alternativen.

In Hidden Agenda gilt es schwierige Entscheidungen zu treffen. In Hidden Agenda gilt es schwierige Entscheidungen zu treffen.

Skylla: Die Meinungsfreiheit auch für Lügenpropaganda akzeptieren, die Wahl verlieren und wissen, dass mein Reformwerk einer den Interessen der Großgrundbesitzer dienenden neuen Regierung zum Opfer fallen wird. Charybdis: Gegen meine generellen Prinzipien handeln und die CIA-Zeitung schließen.

Ich habe sie geschlossen. Natürlich. Immerhin weiß ich ja, wer ich bin: kein Diktator. Generell bin ich natürlich nicht gegen die Meinungsfreiheit und hier lag eine Ausnahmesituation vor. Normalerweise würde ich nicht so handeln. Die Welt sah das natürlich anders: Als Autokrat gebrandmarkt isolierte sie mich. Die Weltbank stellte auf amerikanischen Druck die Wirtschaftshilfe ein und obwohl ich die Wahl gewann, musste ich mein Reformprogramm - aufgrund klammer Kassen - nun selber aufgeben. Die Lebenserwartung fiel unter das Niveau der diktatorischen Vorgängerregierung, Schulen verwaisten, die Geschichtsbücher betrachteten meine Regierungszeit als Fehlschlag.

Der Autor:
Björn Wederhake

Noch bevor er Lesen und Schreiben konnte, wurde Björn beigebracht, mit welchen Kommandos er Spiele auf dem C64 startet. Entgegen anderslautender Gerüchte spielt er auch Spiele, die nicht mehr DOS-kompatibel sind - und bespricht Comics bei Comicgate.de.

Wertvolle Erfahrung

Jim Gasperini hat Hidden Agenda mit der Absicht entwickelt, Lernerfahrungen zu ermöglichen. Bei mir ist ihm das gelungen. Das eigene Erleben gab mir einen neuen Blick auf politisches Geschehen und Ereignisse in der Tagespresse. Durch eigenes simuliertes Handeln wurde mir deutlich, dass es Situationen gibt, in denen Entscheidungsträger abwägen müssen zwischen wenigen, allesamt unbefriedigenden Handlungsoptionen.

Stalin’s Dilemma (2000) soll ein Lernspiel sein, lehrt aber nur, dass man schnell eine Armee aufbauen muss. Stalin’s Dilemma (2000) soll ein Lernspiel sein, lehrt aber nur, dass man schnell eine Armee aufbauen muss.

Das ist eine relevante Erkenntnis, die sich noch nicht überall durchgesetzt hat: Wer mal einen Blick auf die Leserbriefseiten regionaler und überregionaler Zeitungen wirft oder sich gar in die trollverseuchten Höhlen des Spiegel-Forums oder der Kommentarsektionen der FAZ wagt, der kann wundervoll reduzierte Politikkritik erleben: »Warum machen Politiker das schon wieder falsch? Warum entscheiden Politiker nicht einfach mal richtig?«

Wir alle wissen, dass es Situationen gibt, in denen wir in den sauren Apfel beißen müssen und keine Lösung sehen, mit der wir wirklich zufrieden sind. Situationen, in denen wir nur möglichst wenig Schaden anrichten können. Aber den Gedankensprung von dieser Selbsterfahrung hin zur Bewertung von realpolitischen Handlungen, den schaffen wir oft nicht. Da will ich mich nicht einmal ausnehmen. Das darf kein »Freibrief« sein, aufgrund dessen man Politikern alles durchgehen lässt. Aber vielleicht können Spiele tatsächlich helfen, den politischen Diskurs fairer und verständnisvoller zu gestalten.

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