Fazit: Fallout 4 im Test - Ein heikler Deal

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Fazit der Redaktion

Michael Graf ( @Greu_Lich )

Ich liebe die Fallout-Serie, und ich mag auch Fallout 4. Ich mag seine stimmungsvolle Welt, ich mag seine Androiden-Story, ich mag seinen Humor und seine Freaks. Hier stecken zudem mehr liebevolle Details drin, als es auf den ersten Blick scheint, etwa die Zufallsbegegnung mit»Arschgesicht«oder die Dungeons-&-Dragons-Atomforscher-klasse! Und dennoch…dennoch hinterlassen fast 100 Stunden Fallout 4 bei mir das flaue Gefühl, das mehr drin gewesen wäre, dass Fallout 4 weder sein Universum noch seine Story-Prämisse voll ausschöpft. Frühere Serienteile hatten noch mehr skurrile Begegnungen, noch mehr Freakfraktionen, noch mehr Denkwürdiges zu bieten-und mussten ihre Spielzeit seltener mit uninspirierten Standardquests strecken. Manch Spieler dürfte sich wegen des entfallenen Reparaturzwangs und den unsterblichen Begleitern auchüber die»Casualisierung«der Endzeitärgern. Mich selbst stört beides zwar weniger, ich kann's aber verstehen.

Bethesda, das traditionell mit dem Geschichtenerzählen ringt wie eine Schlange mit einem Mungo, stolpert zudem über The Witcher 3. Das Hexer-Rollenspiel hat kürzlich eine erzählerische Messlatte für Open-World-Rollenspiele gelegt, die Fallout 4 nicht mal streift. Klar, die Story hat tolle Momente, oft plätschert sie aber auch einfach dahin. Auch viele Nebenquests könnten origineller sein. Was mir an Fallout 4 hingegen viel mehr Spaßmacht als in The Witcher 3 und Dragon Age ist das Eintauchen in die Welt, das Buddeln nach Geheimnissen, das Erschnuppern von Details. Oder einfach das Erleben zufälligen Irrsinns, etwa wenn ich eine Fat-Man-Atombombe auf einen Parkplatz schieße und die atombetriebenen Autowracks anschließend gleißend in die Luft fliegen. Diese Traditionsstärken aller Bethesda-Spiele kommen in Fallout 4 abermals voll zur Geltung, ich liebe es einfach, das Ödland zu durchstreifen.

Nicht umsonst hat Bethesda »The Wanderer« als Trailersong für Fallout 4 gewählt: Die Freiheit, das Wandern machen den größten Reiz aus - am liebsten natürlich als Ein-Mann-Panzer, diese Iron-Man-Powerrüstung ist einfach bombig! Genau wie das Crafting. Und als Minecraft-Veteran mag ich sogar den Häuserbau-aber nur mit dem Gamepad. Die PC-Bedienung ist generell verkorkst, was auch zum Wertungsabzug gegenüber den Konsolenversionen führt. Nein, Fallout 4 ist weder ein perfektes noch ein technisch voll zeitgemäßes Spiel, aber dennoch ein sehr gutes. Wer gerne tagelang in stimmigen Welten versinkt und Fallout 3 mochte, der kann das Ticket nach Boston lösen.

Heiko Klinge ( @HeikosKlinge )

Für mich muss ein Rollenspiel vor allem gute Geschichten erzählen. Trotzdem oder gerade deswegen kann ich in Fallout 4 genauso versinken wie in The Witcher 3. Denn während letzteres fantastische Abenteuer für mich schreibt, schreibe ich meine fantastischen Abenteuer in Fallout 4 eben selbst. Etwa das eine Mal, als ich mich eigentlich an den Raider-Anführer ranschleichen wollte, ihn dann aber aus Versehen per Kettenexplosion in die Luft jagte, was natürlich dessen komplette Bande an meine Fersen heftete und zu einem wilden Rückzugsgefecht führte. Oder als ich es nichtübers Herz brachte, ein Kinderzimmer meiner Siedlung für Crafting-Materialien zu zerlegen, sondern es stattdessen liebevoll dekorierte-einfach in der Hoffnung, dass ich hier irgendwann einmal ein Kind einquartieren kann. Ob das geht? Keine Ahnung, Fallout 4 lässt bewusst vieles im Unklaren. Es will entdeckt werden. Und genau das macht es für mich auch so faszinierend.

Ja, in Sachen Storytelling, Questdesign und Technik spielt The Witcher 3 tatsächlich eine Liga höher. Dafür konnte ich mich in noch keinem anderen Rollenspiel so frei entfalten und als Charakter definieren wie in Fallout 4. Es erzählt nicht seine Geschichte, sondern meine. Und wenn diese Geschichte beinhaltet, dass ich beim Anlegen meines eigenen Gartens wegen der fummeligen Steuerung allein 15 Minuten mit dem Bau des Gartenzauns verbracht habe, dann kann man natürlich die Bedienung kritisieren. Oder sich fragen, warum ich diesen Gartenzaun ums Verrecken perfekt hinbekommen wollte, obwohl es spielerisch keinerlei Relevanz hat. Denn wenn ein Spiel es schafft, mich so lange zu einer eigentlich vollkommen sinnlosen Beschäftigung zu motivieren, dann muss es bei allen Schwächen etwas ganz Besonderes sein.

Maurice Weber ( @Froody42 )

Von einem Rollenspiel erhoffe ich mir vor allem denkwürdige Geschichten. Und das ist genau die Disziplin, in der Fallout 4 schwächelt. Nach dem eigentlich großartigen Auftakt kommt die Handlung erstmal komplett zum Stillstand, sobald mich das Spiel in seine offene Welt entlässt. Zwar habe ich eine enorm dringende und persönliche Mission - aber weil ich für die noch nicht stark genug bin, steht davor stundenlanges Nebenquest-Grinding an. Dabei bemüht sich Fallout 4 gar nicht erst, die Aufgaben irgendwie interessant zu gestalten - Banditenlager ausräuchern, Stadt von Maulwurfsratten befreien und dann gleich wieder von vorne. Später zieht das Spiel dann doch noch an, wird seine erzählerischen Schwächen aber nicht los: Dialoge sind fade inszeniert und oft belanglos, die wenigsten Charaktere bleiben im Gedächtnis und die richtig coolen Aufgaben sind mir zu spärlich zwischen die Standardkost gesät.

Ich konnte auch mit der Welt nicht so viel anfangen, weil die ein ähnliches Problem hat. Zwar gibt es jede Menge zu erkunden, aber zu wenige wirklich interessante Entdeckungen. Wenn ich ein Schiffswrack, eine verlassene Sendestation oder sonst etwas Auffälliges finde, kann ich mir oft schon denken, dass drinnen einfach mal wieder eine Bande Räuber und vielleicht eine Beutekiste wartet. Keine Frage, es gibt auch einzigartige Orte, die besondere Geschichten haben - aber auch hier wieder zu wenige. Um die riesige offene Welt zu füllen, musste viel 0815-Material herhalten. Mir wäre eine kleinere, aber dichter mit einfallsreichen Entdeckungen gespickte Welt da deutlich lieber gewesen. So habe ich oft eher das Gefühl, die Welt und die Quests abarbeiten zu müssen statt sie wirklich zu erleben. Rein spielmechanisch hat Fallout 4 viele Stärken - das Crafting, die Charakterentwicklung, das überraschend gute Shooter-Gameplay mit V.A.T.S.-Taktikeinschlag. Aber der Funke der Begeisterung wollte bei mir nicht so recht überspringen.

Andre Peschke

Wenn ein Hersteller beschließt, sein Spiel bis kurz vor Schluss nicht anspielbar zu präsentieren, ist häufig was im Busch. Bei Fallout 4 aber dachte man: Okay, vielleicht ist das nur Marketing-Strategie. Die haben es ja einfach nicht nötig. Rückblickend war vielleicht doch was im Busch. Fallout 4 wirkt wie ein Spiel, dem die Zeit ausgegangen ist. Bei dem am Ende viele Abstriche und Kompromisse nötig wurden, damit es endlich fertig wird. Vielleicht war es der Wechsel auf den neuen Hardware-Minimalkonsens in Form der neuen Konsolengeneration? Der hat immerhin sogar gut geölte Maschinen wie Call of Duty und Assassin's Creed ins Stottern gebracht. Oder gab es Probleme bei der Integration des Crafting-Systems? Das würde erklären warum ihm das Spiel so viel Aufmerksamkeit schenkt, obwohl es letztlich ein reichlich isoliertes und eigenartig bedeutungsloses Feature bleibt?

Wie dem auch sei: Fallout 4 wirkt, als wäre Bethesda einen großen Schritt nur halb gegangen. Dabei rede ich nicht mal über die typische Masse an Bedienungsmängeln. Die verzeiht man Bethesda seit Jahren, weil gut erzählte Geschichten, abwechslungsreiche Missionen und vor allem eine konkurrenzlos komplex simulierte Welt sie mehr als aufwiegen. Aber genau da erreicht das Spiel nur selten das nötige Niveau. Die Erzählung ist solide aber meist nicht weiter bemerkenswert, die durchaus vorhandenen Highlights dünn gesät. Im Missionsdesign lässt sich Bethesda sogar zu einer Flut ewig gleicher Wegwerf-Quests hinreißen, bei denen selbst Ubisoft verschämt kichern müsste. Derweil zeigt die Hauptstory des Spiels faszinierende Ansätze, lässt diese aber prompt wieder fallen. Das Fundament der Reihe ist atombombensicher, die verbesserte Kampfmechanik ist brachial und befriedigend und das Erforschen der Spielwelt motiviert enorm durch die Fülle an Entdeckungen die man abseits der vorgefertigten Questwege machen kann. Es ist ein gutes, atmosphärisches Spiel. Aber es ist eine Enttäuschung.

Jochen Redinger ( @JochenRedinger )

Für Fallout 4 schlagen zwei Herzen in meiner Brust. Das eine meckert etwas leiser über die altbackene Grafik, Perks, die ich vermisse, die wieder mal ziemlich lahme Hauptgeschichte und (viel lauter) über die katastrophal nervtötende Menüführung auf dem PC. Aber zumindest eine Sache habe ich nicht anders erwartet: Die Story fesselt mich trotz eingehämmerter Dringlichkeit kein Stück, im Gegenteil. Sobald der Einstieg vorbei ist, interessiert mich das Schicksal gewisser Leute überhaupt nicht mehr, viel lieber jage ich Levelaufstiegen und neuen Skillpunkten hinterher.

Das andere Herz freut sich: Die Open-World-Faszination kriegt Bethesda nämlich viel besser hin, das Erkunden, Kämpfen und Plündern überragt die eigentliche Geschichte wie ein Supermutant einen räudigen Ödlandköter. Denn auch wenn der nicht von Bethesda stammende Serienteil New Vegas immer noch manches besser kann - vor allem die Perks finde ich dort interessanter - dreht sich die Suchtspirale aus Herumziehen, Aufleveln und in noch gefährlicheren Gebieten Herumziehen seit dem ersten Schritt in den Commonwealth. Banditen, die sich über meine vorangegangenen Überfälle gruseln, verrückte Chefköche mit Shotgun, all das erzeugt eine glaubwürdig abgefahrene Welt, die mich trotz Macken sofort in ihren Bann schlägt. So wie Krieg immer gleich bleibt, ändert sich halt auch Fallout nicht großartig. Aber was es kann, kann es gut!

Benjamin Danneberg ( @PointOfGaming )

Das Jahr 2015 hat meine Sicht auf Spiele stark verändert. Das Gefühl, das ein Spiel zu vermitteln vermag, ist bei mir als maßgebliches Kriterium bei der Bewertung in den Vordergrund getreten. Und so frage ich mich auch bei Fallout 4: Was bewirkt dieses Spiel bei mir, wie wirkt es sich auf mich aus? Zuerst die schlimmen Dinge: Die Steuerung der Menüs ist ein Graus, bis zu drei verschiedene Tasten, um Menüs zu schließen, sind eine Zumutung. Die Story ist mit heißester Nadel gestrickt und strotzt nur so vor »Ja, ne, ist klar«-Momenten. Die Dialoge sind unglaublich eindimensional, die vier Auswahlvarianten bestehen eigentlich nur aus »Ja«, »Nein«, »Vielleicht« und »Zufalls-Beleidigung«.

Trotzdem finde ich Fallout 4 klasse. Denn die Welt ist sehr glaubwürdig, der Endzeit-Shooter kommt vor allem in den postapokalyptischen Städten und Fabrikanlagen so richtig auf Touren. Häuserkampf in Ruinen als Stealth-Ninja mit hochgemoddeten Waffen und Rüstungen - da kommt richtig Freude auf! Hier noch um die Ecke schleichen, einem Ghul die faulige Birne perforieren (VATS-Bullet-Time!), dort eine Zeitschrift, da ein Fusionskern und drüben ein neues Teil für meine Powerrüstung - Fallout 4 motiviert durch großartiges Endzeit-Erkundungs-Feeling, hervorragende Wettereffekte (Strahlungsgewitter sind scary!) und ein cooles Charaktersystem. Und spätestens, wenn Roboter Codsworth mich beim Flaschensammeln als Messie beschimpft, fühle ich mich pudelwohl in der vierten Endzeit.

Michael Obermeier ( @GameOvermeier )

»Die Story von Fallout 4 kann man durch Spoiler nicht verderben, da die beste Geschichte im Spiel die ist, die jeder Spieler für sich selbst erlebt« schreibt Bethesda PR-Chef Pete Hines auf Twitter. Das klingt erstmal nach platter PR-Phrase, beschreibt aber auf den Punkt die größte Stärke und gleichzeitig eine große Schwäche von Fallout 4. Denn wie schon bei Fallout 3 und Skyrim wird es für mich auch bei Fallout 4 nicht die Hauptquest sein, von der ich Kollegen wild gestikulierend an der Kaffeemaschine erzähle - sondern all der skurrile Blödsinn, der dazwischen passiert. Ich erzähle laut von pausenlos spektakulär abstürzenden Vertibirds, von irren Doppelgänger-Zufallsbegegnungen, von irrwitzigen Eigenbau-Waffen und von dem einen frechen Raider, der mir meine Power-Rüstung vor der Nase weggeklaut hat.

Und dann gibt's noch den Teil von Fallout 4, den ich nicht erzähle, sondern einfach leise genieße. Etwa die Atmosphäre in den verlassenen Häuserschluchten Bostons, wenn einzelne Lichtstrahlen durch den dichten Nebel brechen und in der Ferne Schüsse zu hören sind. Wie großartig das »Environmental Storytelling« ist, also die Kunst Geschichten über Orte nur durch Text-Fetzen und Objekte im Level zu erzählen. Wie laut ich geschrien habe, als mir die erste legendäre Todeskralle begegnet ist. Und wie viele Stunden ich wirklich gebraucht habe, meine Festung mit der fummeligen Bau-Steuerung so zusammenzubauen, wie sie jetzt ist.

Martin Deppe

Pfft, die Kollegen immer mit ihrer »Story«. Wozu brauche ich eine Story, wenn ich so tolle Waffen basteln kann? Erst schießen, dann nicht fragen - das war schon immer meine Fallout-Taktik. Umso besser, dass ich die in Fallout 4 so ausleben kann wie in keinem der Vorgänger: Eine 08/15-Pistole zu einem Scharfschützengewehr aufmotzen? Meine Powerrüstung nicht nur hochpowern, sondern auch noch lackieren? Bin dabei!

Und das Witzige ist, dass man meinen Waffen die Basteleien auch ansieht: Hier ist ein Reflexvisier eben kein Hightech-Visier mit Laserpunkt, sondern eine... Blechdose. Diese Mischung aus McGuyver, Jagged Alliance und eben Fallout ist für mich grandios. Und noch grandioser, weil ich auf beinah-rundenbasiert umschalten kann. Nur die herumfliegenden Körperteile finde ich unnötig übertrieben - aber auch das ist eben Fallout.

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