Seite 4: Gewalt kann schön sein - Schön brutal

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Protagonist Mörder

Tatsächlich ist die Idee des Mörders als Künstler im heutigen Horrorfilm so präsent wie selten zuvor. Man denke insbesondere an Hannibal Lecter aus Das Schweigen der Lämmer.

Lecter mag ein kannibalischer Psychopath sein, aber er ist auch ein Genie, ein kultivierter Gentleman und brillanter Psychologe. Als er im Rahmen seiner Flucht einen Wachmann tötet, arrangiert er ihn als verstörendes Kunstwerk direkt an dem Käfig, der ihn zuvor gefangen hielt.

Auch Jigsaw, der Killer aus der Saw-Reihe, wird als Ingenieur von übermenschlicher Begabung inszeniert, der seine Opfer zum Zwecke der Läuterung in ein Labyrinth voll mechanischer und psychologischer Fallstricke steckt, die sie selbst nicht überblicken. Und wenn doch, dann ist es bereits zu spät und das Böse triumphiert.

Der bloße Akt des Tötens ist hier nicht mehr ausschlaggebend für die Handlung, vielmehr stehen symbolische und ästhetische Aspekte mindestens gleichwertig im Vordergrund.

»Ästhetik wird hier in der Gestalt des Mörders ausgespielt gegen moralische und religiöse Normvorstellungen. Das ist die Verkörperung der ›Kunst um der Kunst willen‹, die sich nicht um die von der Gesellschaft aufgestellten Schranken schert«, so Jörg von Brincken. Gewalt als Kunstform. Ein grausiger Gedanke, aber auch ein mindestens ebenso faszinierender.

Die Freude am Regelbruch

Genau dieses Zusammenspiel von Normverletzung und interaktiver Gestaltung lässt Spieler vermutlich Stunden damit zubringen, in virtuellen Welten wie der von Grand Theft Auto 4 alles Mögliche in die Luft zu sprengen oder wahllos auf Passanten zu schießen. Das bedeutet natürlich nicht, dass der Rahmen, den die visuelle Gestaltung und die Hintergrundgeschichte diesen Aktionen gibt, bedeutungslos wäre.

Gerade weil GTA (hier Teil 5) die Illusion einer echten Stadt vermittelt, wirken die Grenzüberschreitungen so intensiv. Gerade weil GTA (hier Teil 5) die Illusion einer echten Stadt vermittelt, wirken die Grenzüberschreitungen so intensiv.

Gerade weil GTA 4 die Illusion einer echten, einer lebendigen Stadt vermittelt, wirken die virtuellen Grenzüberschreitungen noch intensiver. Wäre Liberty City keine Kopie von New York samt kreischender Passanten, sondern eine sterile Science-Fiction-Kulisse mit piepsenden Robotern – dann wäre auch die Gewalt nur halb so eindringlich.

Wenn sich ein spielefremder Betrachter über den scheinbar sadistischen Amoklauf des Spielers aufregt, verkennt er jedoch, dass eben im wahrsten Sinne gespielt wird: erprobt, variiert, bestaunt.

Es werden Erwartungen mit dem Spektakel auf dem Bildschirm verglichen und immer dann, wenn die überhöhte Realität des Spiels diese Erwartungen übertrifft, wenn die geworfene Granate nicht nur das Auto sprengt, sondern es mit völlig absurder Sprengkraft samt Fahrer über unseren Kopf katapultiert, dann sitzt der Spieler lachend und verblüfft vor dem Monitor.

Ein sündiges Vergnügen

Dass er so reagiert, hat nichts mit einem mangelhaften Wertesystem und moralischer Abstumpfung zu tun. Im Gegenteil, viele Spieler schütteln im Nachhinein über sich selbst den Kopf. Gerade wegen des Stigmas »Killerspiele« tun sich viele schwer damit, zuzugeben, dass sie manche Gewaltdarstellungen in Spielen attraktiv finden.

Solche Titel werden dann zur perfekten Verkörperung des »sündigen Vergnügens«, der Sorte Unterhaltung, die man quietschvergnügt mit Freuden konsumiert, um sich hinterher zu schämen und niemandem davon zu erzählen. »In Gewaltspiel geraten Ethik und Ästhetik in einen direkten Konflikt miteinander, und im ersten Moment gewinnt nun mal meistens die Ästhetik«, bringt Jörg von Brincken das Problem auf den Punkt.

Erst hinterher macht man sich Gedanken, ob es denn auch »richtig« war, was man da auf dem Bildschirm angerichtet hat.

Genau hieraus erwächst dann auch der »Killerspiele«-Konflikt. Weil sich kein Mensch dem ästhetischen Eindruck von Gewalt entziehen kann, ist ihre Faszination auch für Spielekritiker deutlich spürbar.

Wer nicht spielt, kann sich laut Jörg von Brincken »durch diese ästhetische Wirkung extrem stark bedroht fühlen in seinem Selbstverständnis als moralisch handelnder Mensch.« Vereinfacht gesagt: Wer sich von der Bildschirmgewalt angezogen fühlt, hält sich für einen schlechten Menschen, frei nach dem Motto: »Wie krank bin ich eigentlich, dass mir so etwas gefällt?«

Zeitweise ohne Moral

Die verführerische Wirkung des »Bösen« verstärkt also nur die Angst jener Menschen davor, was Spiele vermeintlich mit dem Spieler anstellen. Von Brincken führt aus: »Diejenigen, die einen Sinn für die in Spielen gebotene Ästhetik haben, sind in der Lage, ihr moralisches Denken für die Dauer des Spielens außen vor zu lassen, um sich auf den virtuellen Raum einzulassen. Genau das wurde schon immer als bedrohlich empfunden: Dass ein Medium in der Lage ist, einen Menschen dazu zu bringen, für die Dauer des Konsums auf bestimmte moralische Regeln zu verzichten. Das gilt manchen Menschen als gefährlich.«

Obwohl Hunderte von Jahren der Mediennutzung bewiesen haben, dass die erdrückende Mehrheit der Menschen in der Lage ist, dieses »Kunststück« zu vollbringen, schüren gerade neue Medien immer wieder diese Ängste. Vor allem natürlich bei jenen, die das betreffende Medium noch nie angefasst haben und aufgrund eben jenes moralischen Dilemmas eine Auseinandersetzung damit kategorisch scheuen.

Artikel und Autor: Dieser Beitrag erschien ursprünglich auf unserer Schwesterseite Krawall.de, der Autor André Peschke ist deren Chefredakteur. Wer mehr von ihm und seinen Mitstreitern lesen möchte, sollte dort mal vorbeisurfen.

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