Der nervigste Trend für 2016 - Am Boden der VR-Spielerealität

Nicht nur die Technik der VR-Helme kann schwindelerregend sein, auch die Spieleaussichten verursachen Übelkeit: Willkommen bei den neuen Hochpreis-Plattformen für dubiose Schmalspur-Erlebnisse.

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Ach, was hatte ich mich auf meine Nintendo Wii gefreut! Mit Wii Sports war die perfekte Demo für die innovative Bewegungsbedienung im Lieferumfang enthalten: Tennis per Handgelenk-Steuerung, Wahnsinn! Und das Bowling war auch recht pfiffig, zumindest für eine halbe Stunde. Der Reiz des Neuen der Wii-Bedienung blätterte parallel mit den Nadeln des austrocknenden Weihnachtsbaums ab. Bald hatte sich die Aufregung gelegt und man stellte fest, dass die Feuerknöpfe und Tasten herkömmlicher Eingabegeräte mehr Präzision und Komplexität erlauben. Deren Handhabung war auch sicherer für Mobiliar und Haustiere als das enthusiastische Hops-Gefuchtel am Wii-Controller.

Sebastian widerspricht: VR ist ihren Preis wert

Für kaufkräftige Beta-Versuchskaninchen

Oculus-Rift-Gründer Palmer Luckey auf einem Titelbild des amerikanischen TIME-Magazins. Im Hinblick auf die VR-Spieleaussichten wirkt der Autor dieser Kolumne nicht ganz so verzückt. (Bild: Time Magazine) Oculus-Rift-Gründer Palmer Luckey auf einem Titelbild des amerikanischen TIME-Magazins. Im Hinblick auf die VR-Spieleaussichten wirkt der Autor dieser Kolumne nicht ganz so verzückt. (Bild: Time Magazine)

2016 jährt sich die Veröffentlichung der Wii-Konsole zum zehnten Mal, es soll auch (wieder einmal) das Jahr des Durchbruchs für Virtual-Reality-Spiele werden. VR ist also auf dem besten Wege, die nächste überschätzte Jahrmarktattraktions-Plattform zu werden. Oder sagen wir besser »Plattformen«, denn zur Maximierung der Konfusion befinden sich verschiedene Standards in unterschiedlichen Reifestadien.

Bei den prominentesten VR-Standards für PC herrscht anhaltendes Planungschaos. Die Markteinführung des in Zusammenarbeit mit Valve entwickelten HTC Vive wurde kurzfristig auf April 2016 verschoben. Auch bei den Entwicklungssystemen wird noch improvisiert, Anfang Januar kündigte HTC neue Kits mit überarbeitetem Controller und sensationeller »Guckloch«-Kamera an, die einen Blick von der virtuellen in die reelle Welt gewährt. Sehr sinnvoll, alleine um während des Spielens Chipstüte und Erfrischungsgetränk zielsicher ergreifen zu können. Doch welche Spiele wie viele Funktionen der ersten Hardware-Verkaufsmodelle unterstützen werden, ist unklarer denn je.

Auch mit Facebook-Milliarden im Rücken gurkte sich Oculus Rift von einem Release-Window zum nächsten. Jetzt soll die Rift im April erscheinen und kann für 699 Euro vorbestellt werden. Ein Klacks gegen die dazugehörigen PC-Aufrüstkosten, laut Nvidia benötigen VR-Titel siebenmal so viel Hardware-Power wie herkömmliche PC-Spiele. Eine GTX 980 als Minimum, da reibt sich die Grafikkartenbranche die Hände. Oculus-Gründer Palmer Luckey hatte die kräftigen Kosten bereits via Twitter angedeutet: Zwar wolle »jeder« VR, doch nicht jeder werde sich ein solches Gerät auch leisten können. Man merkt, der Mann lebt jetzt schon in seiner ganz eigenen Realität.

Auch für die Gutbetuchten wird's ein Launch auf Raten: Der Oculus-Touch-Controller soll erst irgendwann später verkauft werden, aber als Provisorium kann man Xbox-Gamepads zur Navigation der virtuellen Realität benutzen. VR-User müssen 2016 also kaufkräftige Technikenthusiasten mit starkem Early-Adopter-Trieb sein, die gerne Hardware-Versuchskaninchen spielen. Um dann Software zu erleben, der man sich ohne Helm vorm Kopf nur mit entsicherter Kneifzange nähern würde.


Der Autor:
Heinrich Lenhardt (50) ist seit 1984 als Spieleberichterstatter tätig. Er konzipierte und leitete eine Reihe von Spiele-Zeitschriften, darunter Power Play (1987), PC Player (1992) und buffed-Magazin (2007). In seiner Freizeit schreibt er eBooks wie »Lenhardts Spielejahr 1984« und plaudert beim Spieleveteranen-Podcast mit. Neuer Technik gegenüber ist er zwar grundsätzlich aufgeschlossen, der VR-Hype lässt ihn aber bisher kalt.

Das ist ja wohl der Gipfel

Man stelle sich vor, irgendeine No-Name-Softwareklitsche würde eine Art »Rock Climbing Simulator 2016« ankündigen: Der Spieler steuert seine beiden (kurioserweise vom Körper losgelösten) Hände, um verschiedene Felsformationen zu erklimmen. Gelingt der Aufstieg, gibt es Punkte, dann ruft auch schon der nächste Berg. Der Gipfel der Spannung bei der Routenplanung sind Sprungmanöver. Eine solch läppisch klingende Spielidee würde man höflich belächeln und sie in der Schublade mit den unfreiwillig komischen Nutzfahrzeug-Simulationen einsortieren. Es sei denn, es handelt sich um einen VR-Exklusivtitel - dann werden Features wie Talkum-Anzeige und Vogelgezwitscher ausgiebig bewundert.

Doch die internationale Presseaufmerksamkeit, die Cryteks Oculus-Rift-Titel The Climb genießt, hat mich nicht gerade felsenfest überzeugt. Obwohl die Entwickler den Mangel an Action so kunstvoll schönreden (»Auf dem Gipfel wollen die Spieler, genau wie echte Kletterer auch, über ihren Weg reflektieren, die Aussicht genießen und fast schon diese Melancholie empfinden, dass es vorbei ist«). Zumal VR ja nicht alles besser macht: Weil das Display so nahe am Gesicht ist, fallen Pixeligkeiten eher auf. Bis wir genug Rechenkraft haben, um für jedes Auge Grafik in 4K- oder 8K-Auflösung zu projizieren, dürfte es noch ein Weilchen dauern.

Von nun an ging’s bergab: The Climb gibt uns einen Vorgeschmack auf die überschaubare Komplexität von VR-Spielen. Von nun an ging’s bergab: The Climb gibt uns einen Vorgeschmack auf die überschaubare Komplexität von VR-Spielen.

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