Die PS1 ist zurück! Wie Entwickler*innen mit Low Poly Games die Ära wiederbeleben

Die Spiele der Low-Poly-Szene beleben den Grafikstil der PlayStation 1 wieder. Dahinter steckt mehr als nur Nostalgie. Wir haben mit vier Entwickler*innen gesprochen, die die verlorene Zukunft der Konsole erkunden.

Die Community Haunted PS1 entwickelt moderne Spiele im Grafikstil der PlayStation 1. Die Community 'Haunted PS1' entwickelt moderne Spiele im Grafikstil der PlayStation 1.

Für die PlayStation 1 hätte es kaum besser laufen können. Sie ist die meistverkaufte Heimkonsole der fünften Generation, Geburtsstätte prestigeträchtiger Franchises wie Metal Gear Solid oder Resident Evil, und ebnete Sonys Weg zur milliardenschweren Spielefirma.

Erst nach stolzen elf Jahren, im März 2006, endete ihre Produktion. Tot ist sie aber nicht. Zumindest nicht mehr, der jungen Low-Poly-Szene sei Dank. Seien es die klobigen Figuren, zitternden Kanten oder wabernden Texturen – die Spiele der Szene beleben den Grafikstil der PlayStation 1 auf modernen Plattformen wieder. Neben nostalgischer Imitation steckt dahinter Neugier: auf eine Zukunft, die nie existierte.

So beginnt das Revival der PlayStation-Grafik

Allein auf der Indie-Spiele-Seite Itch.io finden sich rund 1.000 Low-Poly-Spiele, darunter etwa das surreale Erkundungsspiel Hypnagogia von Ralf Corella, alias Sodaraptor. “Ein Low-Poly-Spiel zu entwickeln, erlaubt mir, loszulassen und meine Gefühle in einen Raum zu geben, den andere betreten und selbst erfahren können”, erklärt er die Faszination.

Das surreale Hypnagogia erinnert an den Kultklassiker LSD: Dream Emulator. Das surreale Hypnagogia erinnert an den Kultklassiker LSD: Dream Emulator.

Corella lernt den Stil Ende der 2010er-Jahre kennen. Vor allem Horror-Entwickler*innen wie Kitty Horrorshow veröffentlichen zuvor die ersten Indie-Spiele im PS1-Look, zum Beispiel Anatomy. Gleichzeitig senken Open-Source-Engines und Renderprogramme die Einstiegshürde der 3D-Entwicklung. Das begünstigt die Gründung von Entwickler*innen-Communities wie Haunted PS1, die Horrorspiele in PS1-Grafik erstellen und kostenfreie Demobundles kuratieren.

Damals habe ich realisiert: Low Poly ist ein einfacher, zugänglicher Weg, kleine Spiele selbst zu entwickeln”, meint Corella. Zudem habe die Idee mit ihm resoniert, eine für ihn bedeutsame Ära zurückzubringen, die viele junge Spieler*innen verpasst haben. “Ich wuchs mit Spielen wie Final Fantasy 7, Metal Gear Solid oder Syphon Filter auf. Bis heute lässt mich ihre simple, aber so effektive Präsentation nicht los.

Lieber authentisch oder modern?

Von der Zugänglichkeit profitiert auch Valerie Dusk. Obwohl sie keine Programmierausbildung hat, entwickelt sie Horrorspiele wie Writhe oder Veins. “Das war natürlich schwierig als Autodidaktin. Aber traumartige, verlassene Welten und Plätze aus dem Nichts aufzubauen, ist unfassbar magisch.” 

Crash Bandicoot, Spyro the Dragon und besonders Final Fantasy 9 prägen ihre Kindheit. “Wir hatten außerdem viele Demodisks. Da war eine Menge Kram in merkwürdigen Bruchstücken drauf”, erinnert sich Dusk. “Ich bekomme ein seltsames Gefühl, wenn ich an diese Spiele denke. Vieles auf der PlayStation 1 war ziemlich experimentell.” 

Moderne Interpretation Veins von Valerie Dusk orientiert sich nur lose an den Limits der PlayStation 1.

Authentisches Imitat OK/NORMAL von 98DEMAKE versucht hingegen, so authentisch wie möglich zu sein.

Wie man das am besten nachbildet, daran scheidet sich die Community. Bis auf die Framerate habe 98DEMAKE für sein Spiel OK/NORMAL streng auf die Eigentümlichkeiten und Grenzen der PlayStation 1 geachtet. Er emuliert etwa das Affine Texture Mapping und Vertex Snapping, die zu verzerrten Texturen und zuckenden Charaktermodellen geführt haben.

Für mich ist das aber nichts”, erzählt Dusk. “Authentizität könnte meine Kreativität beschränken. Den Vibe der Konsole einzufangen, halte ich für kraftvoller.” Corella sieht es ähnlich: “Ich möchte lieber ein ‘Gefühl’ der Nostalgie erzeugen. Neu interpretieren, wie es war, als Kind zum ersten Mal ein PlayStation-Spiel zu sehen.” 

Die verlorene Zukunft der PlayStation

Man könnte meinen: Das verfehle den Punkt einer Szene, die die PlayStation imitiert. Aidan Cushing, Entwickler von Low-Poly-Spielen wie Vestigial und The Drowning Machine, widerspricht. “Es ist spannend zu sehen, was Leute wegwerfen und was sie behalten.” Vor allem, weil die PS1-Ästhetik, so Cushing, vor ihrer Zeit gestorben sei. 

Bereits mit der PlayStation 2, veröffentlicht im März 2000, steuerte die Industrie dank rapidem technischen Fortschritt in Richtung Fotorealismus. Der originale Low-Poly-Stil existierte nur fünf Jahre – ein Wimpernschlag, verglichen mit der über vierzigjährigen Geschichte von Pixelart und der andauernden Jagd nach lebensechter Grafik. “Der Wechsel war so drastisch. Niemand konnte Low Poly als eigenständige Kunstform erkunden, weil es der Markt nicht diktierte”, klagt Cushing. 

Wo dicker Nebel in PS1-Horrorspielen oft aus technischer Notwendigkeit eingesetzt wurde, dient er in The Drowning Machine als bewusstes Stilmittel. Wo dicker Nebel in PS1-Horrorspielen oft aus technischer Notwendigkeit eingesetzt wurde, dient er in The Drowning Machine als bewusstes Stilmittel.

Eine bessere Motivation könnte es für ihn aber kaum geben. “Der Stil ist eine Art Gang mit unzähligen Türen, die nirgendwo hinführen. Wir finden jetzt raus, was dahinter liegt.” Dusk ergänzt, dass Grenzbrüche nur im Geist der Konsole seien. “Die Generation lag selbst in einer Art Grenzraum, zwischen hochpoliertem 2D und frühem 3D, und hat versucht, eine neue Art Videospiel zu definieren.” 

Low Poly verlangt kein Kunststudium

Corella, Dusk und Cushing verstehen sich eher als Künstler*innen statt Entwickler*innen. “Was nicht heißen soll, Spieleentwicklung sei keine Kunst”, merkt Dusk an. Doch nicht nur Menschen wie sie spricht Low Poly an. “Ich bin wirklich schlecht mit Kunst und mehr ein traditioneller Programmierer”, lacht Ian Williams.

Er entdeckte die Low-Poly-Szene vor rund drei Jahren; ihn inspirieren die oft allein oder in kleinen Teams arbeitenden Entwickler*innen und die Einfachheit des Stils. Anfangs hielt er sich an die Grenzen der PlayStation als kreative Stütze. “Irgendwann nahm ich den Stil aber nur noch als Inspiration und dachte: Behalte, was gut ist, und baue darauf auf”, erzählt er. “Und seien wir realistisch: Spiele zu programmieren, die die damaligen Limits akkurat widerspiegeln, ist unfassbar schwierig.

Fiends Isle von Ian Williams kombiniert Retro-Grafik und modernen Spielkomfort. Fiend's Isle von Ian Williams kombiniert Retro-Grafik und modernen Spielkomfort.

Heute denkt Williams die PlayStation 1 vor allem spielmechanisch in Richtung Gegenwart. “Viele alte Spiele experimentierten noch mit 3D-Steuerung. In King’s Field hast du dich zum Beispiel mit den Schultertasten gedreht.” Das spielt sich so sperrig wie es klingt, habe aber zum langsamen Dark Souls-Vorläufer gepasst. In seinem daran angelehnten Spiel Fiend’s Isle bildet Williams das Gefühl mit zeitgemäßem Komfort nach. “Dein Charakter bewegt sich immer noch klobig. Die Steuerung funktioniert aber, wie du es von einem heutigen First-Person-Spiel mit zwei Joysticks erwartest.

Das Beste kommt erst noch

Anders als Pixelart-Lieblinge wie Celeste, existieren Low-Poly-Spiele noch in der Nische, trotz jüngstem Hype. “Pixelart altert hervorragend. Ältere Low-Poly-Grafik kann da nicht ganz mithalten”, erläutert Dusk. “Beide vermitteln aber viele Gefühle mit wenigen Mitteln. Es dürfte nur noch eine Frage der Zeit sein, bis Low Poly im Mainstream landet.” Corella sieht es ähnlich. “Der Trend dürfte sich bald als dominanter Indie-Stil etablieren. Dabei helfen Communities wie Haunted PS1 oder DreadXP gerade massiv.

Cushing sieht das nicht unkritisch. “Ich möchte nicht nur mehr Spiele im PlayStation-Look, sondern Spiele, die sich anfühlen, als wären sie aus einem bestimmten Grund entstanden.” Sollte sich Low Poly als alleiniger Standard durchsetzen, berge das Risiken. “Wir finden Teile unserer Selbst in der PlayStation-Ästhetik. Wem diese Verbindung fehlt, wird sich nie auf eine Art ausdrücken können, die sich so persönlich wie für uns anfühlt.

Mit Spielen wie Toree 3D belebt Entwickler Siactro des Genre der bunten Maskottchen-Plattformer wieder. Mit Spielen wie Toree 3D belebt Entwickler Siactro des Genre der bunten Maskottchen-Plattformer wieder.

Trotzdem liebe er Low-Poly-Spiele und hofft, dass sie bleiben. Genug Potenzial ist jedenfalls vorhanden. “Sie können sich in wirklich alle Richtungen entwickeln”, versichert Williams. Konkret sehe er mehr Raum für “Boomer Shooter” wie DUSK, also Retro-FPS im Stil von Doom oder Quake, oder bunte Plattformer à la Banjo-Kazooie, denen sich Entwickler Siactro bereits mit Toree 3D oder Macbat 64 widmet. 

Corella prophezeit mehr Genrehybride, wie sie derzeit bei Game Jams (durchschnittlich ein- bis dreitägige Events, bei denen Teilnehmer*innen oft nach einem bestimmten Thema Spiele entwickeln) entstehen. Für ihn steht fest: Die Zukunft der PlayStation ist nicht mehr ganz so verloren. “Wir können noch viel über die Spiele der Ära lernen. Das Beste, was der Stil bieten kann, kommt erst noch.

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