Seite 2: Fallout 4 - Aus Sand gebaut

GameStar Plus Logo
Weiter mit GameStar Plus

Wenn dir gute Spiele wichtig sind.

Besondere Reportagen, Analysen und Hintergründe für Rollenspiel-Helden, Hobbygeneräle und Singleplayer-Fans – von Experten, die wissen, was gespielt wird. Deine Vorteile:

Alle Artikel, Videos & Podcasts von GameStar
Frei von Banner- und Video-Werbung
Einfach online kündbar

Ein erzählerisches Eigentor

Um ganz fair zu sein: Die erste halbe Stunde des Spiels hat mich erzählerisch wirklich gefesselt. Der strikt lineare Prolog ist wirklich gut inszeniert und die Sprecher der Figuren bringen mir die Weltuntergangsstimmung und die damit verbundenen Emotionen sehr gut nah. Auch als ich im Vault das erste Mal mit der veränderten Welt in Kontakt komme und einigen Rad-Kakerlaken den Garaus machen muss, sind die verbalen Reaktionen meines Protagonisten sehr glaubwürdig und tragen dick zur Atmosphäre bei.

Bethesda hat den Hauptcharakter erstmals vertont. Das kann der Atmosphäre jedoch sogar schaden. Bethesda hat den Hauptcharakter erstmals vertont. Das kann der Atmosphäre jedoch sogar schaden.

Aber sobald ich in die weite Welt hinausgehe und das wohlige Bethesda-Open-World-Gefühl einsetzt, wirken die Kommentare meines Helden teilweise irgendwie deplatziert. Da ist nicht mehr dieses barrierelose »Das bin ich!«-Gefühl, wenn sich jemand anders nach erfolgreichem Hacken eines Terminals für mich freut. Und die oft sehr leichtfertig gegebenen, schnippischen, ja teilweise sogar freudig-humorvollen Repliken, mit denen mein Alter Ego in den Dialogen von sich tönt.

Denn die haben wenig mit meiner persönlichen Vorstellung davon zu tun, wie wohl jemand redet, dem vor Kurzem erst klar wurde, dass die Welt, die er kannte, sich in ein verstrahltes Ödland verwandelt hat. (Zusätzlich zu dem anderen, deutlich akuteren Problem, das meinen Helden beschäftigt.) Vorher war ich es selber, der diese Antworten gegeben hat. Ich konnte den genauen Wortlaut bestimmen und mir die dazugehörige Tonalität so vorstellen, wie sie zu meinem Charakter und zur Situation passte. Es war MEINE Geschichte und ICH war die Hauptfigur.

Das anfangs genannte, grundsätzliche erzählerische Problem, unter dem alle Bethesda-Rollenspiele leiden - nämlich der Widerspruch, narrativ in der Haupthandlung eine gewisse Spannung und Dringlichkeit erzeugen zu wollen, gleichzeitig aber spielerisch absolute Freiheit zu vermitteln, in der es an jeder Ecke etwas zu entdecken und überall eine noch so nebensächliche Kleinigkeit zu erledigen gibt - dieses Problem wird durch das neuerliche inszenatorische »Bemühen« von Fallout 4 noch auffälliger.

Längere Antworten: Erste Dialogystem-Mod für Fallout 4 (PC)

Das neue Dialogsystem von Fallout 4 stößt bei velen Fans nicht gerade auf viel Gegenliebe. Das neue Dialogsystem von Fallout 4 stößt bei velen Fans nicht gerade auf viel Gegenliebe.

Es ist eine Diskrepanz in der Gedankenwelt des Protagonisten, der seine dringende Mission, in der jede Sekunde von Bedeutung sein könnte, unterbricht, um der netten Farmerin von nebenan bei der Ernte zu helfen. Über diese Diskrepanz ließ sich in der Vergangenheit noch mehr oder minder hinwegsehen, in Fallout 4 wird sie jedoch nun HÖRBAR.

Kaum hat meine Spielfigur eben noch gut gelaunt mit der freundlichen Farmerin herumgescherzt, so erleidet sie in der nächsten Hauptquest wieder einen von Angst erfüllten Nervenzusammenbruch, nur um sich danach dann wieder uneigennützig mit den Befindlichkeiten fremder Ödland-Bewohner auseinander zu setzen, als sei nichts gewesen.

Die Etablierung des Helden-Charakters durch Vertonung der Dialoge kann hier nicht funktionieren, da das Spielprinzip an sich eine nachvollziehbare Charakterisierung und Charakter-Entwicklung verhindert. Und so erreicht Bethesda hier schlussendlich das exakte Gegenteil und mindert die Authentizität der Erzählung.

Fallout 4 - Test: Fallout oder Ausfall? Video starten 23:00 Fallout 4 - Test: Fallout oder Ausfall?

Freiheit oder roter Faden?

Bioware-Spiele wie Mass Effect 2 oder auch das dieses Jahr erschienene The Witcher 3: Wild Hunt sind Beweise dafür, dass der Open-World-Hybrid aus linearer Hauptquest und wild durcheinander würfelbaren Nebenquestreihen in Kombination mit einer voll vertonten, cineastischen Inszenierung durchaus funktionieren kann. Der wohl entscheidende Unterschied ist jedoch, dass diese Spiele nicht dem Sandkasten-Prinzip folgen.

Der Held von Dragon Age: Inquisition schließt nebenher Dimensionsrisse. Logisch, das ist ja sein Job. Der Held von Dragon Age: Inquisition schließt nebenher Dimensionsrisse. Logisch, das ist ja sein Job.

Sie sagen nicht: »Du schreibst deine eigene Geschichte und kannst jederzeit tun und lassen, was du willst!« Vielmehr geben sie eine Handlung samt rotem Faden vor und stellen jegliche Nebenaktivitäten, die der Spieler in der offenen Spielwelt abseits der Haupthandlung erleben kann, zumindest in Relation zu diesem roten Faden. Geralt ist ein Hexer, er wird also auf seiner Suche nach Ciri auch weiterhin Monster töten, wenn ihm ein Auftrag in die Finger kommt.

Und in seiner Kampagne gegen die Dämonenheere des Corypheus ist es nun mal tagtägliche Aufgabe unseres Inquisitors aus Dragon Age: Inquisition, die magischen Risse zu schließen, die er auf seiner Reise findet. Kurz gesagt: Wir wissen, warum diese Protagonisten so handeln. Es ist zumindest halbwegs nachvollziehbar, dass sie von der eigentlichen Hauptaufgabe abweichen, um zwischendrin etwas Anderes zu tun. Im Gegenzug dazu fehlen ihnen gewisse Freiheiten, die der Held eines Bethesda-Spiels hat.

Geralt kann nur das angreifen, was das Spielsystem für ihn als Feind vorgesehen hat. Er kann nicht durch einfachen Angriff einem ganzen Dorf den Krieg erklären. Warum sollte er auch? Eine Handlung, die im Zusammenhang mit der Hauptgeschichte einfach keinen Sinn ergäbe. Bethesda-Protagonisten hingegen kennen solche Abhängigkeiten nicht, sie sind Leinwände, auf die ich meine eigene Geschichten projiziere.

Der Hexer kann nur das angreifen, was vom Spiel als Feind vorgesehen ist. Der Hexer kann nur das angreifen, was vom Spiel als Feind vorgesehen ist.

Die Verbindung zwischen Nebenaufgaben und Haupthandlung herzustellen ist etwas, das Bethesda bisher in keinem ihrer Spiele so richtig geschafft hat. Vermutlich ist dies im Zusammenhang mit dem Sandkasten-Prinzip auch ein schier unerreichbares Ziel. Zu viel Spielerfreiheit, zu viele Handlungsmöglichkeiten innerhalb des Systems, um diese alle unter einen erzählerisch sinnvollen Hut zu bringen. Ich finde das okay. Ich greife gerne auf meine eigene Fantasie zurück, um meine eigene, persönliche Erzählung zu komplettieren.

Natürlich kann ich das auch in Fallout 4 noch irgendwie tun. Und auch nach unzähligen Stunden im Ödland macht mir das Spiel auf die selbe Art und Weise einen Heidenspaß, wie es schon die Vorgänger getan haben. Aber es ist mir wichtig, darauf hinzuweisen, dass Bethesdas neue inszenatorische Ansätze meine Spielerfahrung nicht zum Positiven beeinflussen. Im Gegenteil, sie arbeiten meiner Meinung nach gegen die eigentlichen Stärken des Spielsystems.

Fallout 4 ist ein Spiel, das in der Wahrnehmung der Spielerschaft zurzeit sehr stark polarisiert. Es bleibt also abzuwarten, was Bethesda mit dem zahlreichen Feedback anstellen wird und auf welche Art und Weise sich ihr nächstes Rollenspiel-Juwel präsentieren wird. Ich weiß nur jetzt schon mit ziemlicher Sicherheit, dass ich es spielen und lieben werde - denn die Bethesda-Erzählweise hat es mir einfach angetan.

2 von 2


zu den Kommentaren (4)

Kommentare(4)
Kommentar-Regeln von GamePro
Bitte lies unsere Kommentar-Regeln, bevor Du einen Kommentar verfasst.

Nur angemeldete Benutzer können kommentieren und bewerten.