Valves Ausflüge ins Wohnzimmer: Starker Start mit ernüchterndem Ende

Ende des Jahres erscheint mit dem Steam Deck eine Handheld-Konsole von Valve im Stil von Nintendos Switch. Sie ist nicht der erste Versuch des Konzerns, sein Angebot über den PC hinaus zu erweitern.

In der Welt der PC-Spiele ist Valve ein Gigant sondergleichen. Monatlich benutzen 120 Millionen Spieler*innen Steam, die Vertriebsplattform des Konzerns. Der nächstgrößere Konkurrent, Epic Games, kann nur knapp die Hälfte dieser Zahlen vorweisen. 

Jetzt möchte Valve auch in der Welt der Konsolen Fuß fassen. Ende des Jahres soll das Steam Deck erscheinen. Ein Handheld im Stil von Nintendos Switch, nur deutlich leistungsstärker, der Zugriff auf einen Großteil der Steam-Bibliothek gewährt und sogar Emulation erlaubt. Es ist nicht Valves erster Versuch, nach den Schreibtischen auch die Wohnzimmer zu erobern. In den frühen 2000er-Jahren veröffentlichte das Unternehmen zahlreiche Konsolen-Ports, die größtenteils positiv aufgenommen wurden. Danach sollten die Steam Machines eine Alternative zu Konsolen bieten –  und floppten grandios. So verlief Valves Geschichte im Wohnzimmer.

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Es begann mit Half Life

Erste Gehversuche auf Konsolen übte Valve mit Half Life. Das Debütspiel des Konzerns erschien 1998 für Windows, 2001 folgte ein Port für die PlayStation 2. Der war weitestgehend identisch mit der PC-Fassung, bot aber keinen Online-Multiplayer. Dafür wartete mit Decay ein exklusiver Koop-Modus, entwickelt von Gearbox Software, der die Hauptgeschichte um einen Nebenstrang erweiterte. Manche Spieler*innen bezeichneten die Originalversion rückblickend als die bessere Spielerfahrung, andere bevorzugten den Port. Die Presse war sich hingegen einig und vergab, wie schon drei Jahre zuvor, hohe Wertungen.

Den ersten Ausflug ins Wohnzimmer unternahm Valve mit Half Life, das erste Spiel des Konzerns. Den ersten Ausflug ins Wohnzimmer unternahm Valve mit Half Life, das erste Spiel des Konzerns.

An Half Lifes Erfolg sollte zwei Jahre später die Xbox-Fassung von Counter Strike anschließen. Auf die holprige Entwicklung – vier Studios arbeiteten nacheinander daran – folgte durchschnittliche Resonanz, zumindest den Wertungen zufolge. Einige Tester*innen beschwerten sich über fehlende Singleplayer-Inhalte, obwohl der Titel dank des integrierten Ethernet-Ports der Xbox für Multiplayer-Gefechte konzipiert wurde, wie schon die PC-Version. Der allgemeine Tenor: Es ist die gewohnte Counter-Strike-Erfahrung, wenn auch mit Abstrichen. Technisch sei die Xbox-Version schwächer und die Controller-Steuerung unterliege Maus und Tastatur. Als Ausgleich enthielt der Port einige Anpassungen wie subtiles Auto Aim.

Sorgenkind PlayStation 3

Besser lief es für die nächsten zwei Konsolenports von Valve. 2004 erschien die hochgepriesene Xbox-Version von Half Life 2 und drei Jahre später die Orange Box für PC, Mac OS, Xbox 360 und PlayStation 3. Sie enthielt neben Half Life 2 zwei Zusatzepisoden für das Hauptspiel sowie Team Fortress 2 und den gefeierten Puzzler Portal. Die Presse überschlug sich mit Bestwertungen, die PS3-Version schnitt jedoch schlechter ab. Die am häufigsten genannten Gründe waren ausufernde Ladezeiten, Framerate-Probleme und Slowdowns. Schuld daran war nicht zwingend mangelnde Expertise seitens Valve. Zahlreiche Entwickler*innen anderer Studios klagten ebenfalls über die Arbeit mit der komplexen Systemarchitektur der Konsole. So litten auch die PS3-Versionen von Titeln wie Bayonetta, Fallout: New Vegas, Skyrim und viele weitere an ähnlichen technischen Problemen.

Mit Portal 2 schien Valve die komplexe Hardware der PlayStation 3 gemeistert zu haben. Mit Portal 2 schien Valve die komplexe Hardware der PlayStation 3 gemeistert zu haben.

Die nächsten zwei Konsolenversionen von Valve-Spielen kamen kurz darauf. Left 4 Dead erschien 2008, der Nachfolger im folgenden Jahr und beide nur auf Microsofts Konsole. Valve schien sich lieber auf die eigenen Stärken zu besinnen oder bevorzugte wohl schlicht den Weg des geringsten Widerstands –  mit Erfolg. Die Xbox-360-Versionen des Zombie-Shooters wurden im Schnitt so positiv bewertet wie ihre Pendants auf dem PC. Umso überraschender ist, dass Valve nur eineinhalb Jahre danach Sonys Hardware mit dem berüchtigten Cell-Chip anscheinend gemeistert hatte. Das beweist zumindest Portal 2. Die PS3-Version war gleichauf mit den Fassungen für Xbox 360 und Windows; alle drei haben einen Metascore von 95. Laut einer Meldung von PC Games Hardware habe Valve den PlayStation-Port sogar als die “beste Version” bezeichnet.

Ernüchterndes Ende einer Erfolgsgeschichte

Mit den PS3- und Xbox-360-Fassungen von Counter Strike: Global Offensive im Jahr 2012 sollten Valves Ausflüge auf Konsolen enden. Und das auf einer unerwartet schlechten Note. Die ersten Rezensionen beider Versionen waren zwar optimistisch. Was sie nicht voraussehen konnten, war Valves Nachlässigkeit. 

Valve vernachlässigte die Konsolen-Versionen von Counter Strike: Global Offensive. Valve vernachlässigte die Konsolen-Versionen von Counter Strike: Global Offensive.

Die PC-Version änderte sich in den letzten neun Jahren konstant und zieht weiterhin durchschnittlich 500.000 Nutzer*innen pro Monat an, die Konsolen erhielten derweil kaum Updates. Heute können sie höchstens als "Zeitkapsel" für nostalgische Spieler*innen dienen. Zudem bemühte sich Valve nicht um eine Optimierung des Gameplays für Konsolen, wie seinerzeit bei Counter Strike für Xbox. Weshalb Valve dann überhaupt Ressourcen in die Konsolen-Fassungen von Counter Strike: Global Offensive investierte, darüber lässt sich nur spekulieren. Mit Blick auf die nächsten Monate schien es für den Konzern ohnehin Wichtigeres als seine Erfolge mit Ports zu geben.

Mit Mini-PCs in die Wohnzimmer dieser Welt

Ende 2012 munkelten Journalist*innen und Industrie-Insider über eine eigene Konsole von Valve. Tatsächlich sprachen einige Hinweise dafür. Steam erhielt den Big Picture Modus, der eine einfache Bedienung auf Fernsehern versprach. Gleichzeitig befürwortete Firmengründer Gabe Newell vermehrt öffentlich das Open-Source-Betriebssystem Linux und äußerte im selben Atemzug seine Abneigung gegenüber Microsofts neuem Betriebssystem, Windows 8. Im Juli 2012 schimpfte er noch: "Windows 8 ist eine Katastrophe für alle PC-Besitzer*innen." Damit bezog er sich hauptsächlich auf den bevorstehenden Start des Windows Store – Konkurrenz für Steam. Auch sei er um die von Microsoft verlangten Absatzmargen besorgt, die, so Newell, kleine Studios gefährden würden.

Im kommenden Jahr endeten die Spekulationen. Am 23. September 2013 kündigte Valve mit SteamOS ein eigenes Betriebssystem an. Es sollte auf der Linux-Version Debian basieren, die dem Steam Client neue Funktionen wie Media Sharing oder Elternkontrolle ermöglichte. Die weitaus größere Meldung folgte nur zwei Tage später: Valve arbeitete an der Steam Machine, ein Mini-PC auf Basis von SteamOS, der die Brücke zwischen Schreibtisch und Sofa schlagen sollte und hauptsächlich für Spiele gedacht war. Der Veröffentlichungszeitraum war für Mitte 2014 geplant.

Mit den Steam Machines wollte Valve ein Konkurrenzprodukt zu Konsolen anbieten. Mit den Steam Machines wollte Valve ein Konkurrenzprodukt zu Konsolen anbieten.

Im Januar 2014 gab Valve dann bei der Consumer Electronics Show die Kooperation mit insgesamt 14 namhaften PC-Hardware-Herstellern bekannt, darunter Alienware, Origin PC oder Gigabyte. Sie alle sollten eigene Steam Machines auf den Markt bringen, in unterschiedlichen Größen, Farben und mit verschiedenen Konfigurationen, deren Kostenpunkte vom mittleren dreistelligen zum mittleren vierstelligen Bereich reichten. So wollte Valve sicherstellen, dass sowohl Einsteiger*innen als auch Enthusiast*innen die richtige Steam Machine für ihre Bedürfnisse finden würden.

Der Plan kam zur perfekten Zeit. Sollten die Steam Machines ein Erfolg sein, hätte Valve im kommenden Jahr ein fähiges Konkurrenzprodukt zur bevorstehenden PlayStation 4 beziehungsweise Xbox One bieten können. Die Bindung der Mini-PCs an SteamOS hätte Valve außerdem künftig unabhängig von Windows und Microsoft agieren lassen. Doch der Plan ging nicht auf.

Das Experiment Steam Machines scheiterte

Ende 2013 begannen die Beta-Tests von 300 Steam Machines. Laut PC-Gamer waren die Ersteindrücke gemischt. Ähnliches galt für das Feedback zum Design und der Handhabe der Steam Controller, den Valve für die Steam Machines entwickelte. Die nächsten Monate brachten vor allem eins: Verschiebungen. Ab März 2014 überarbeitete Valve mehrfach den Steam Controller. Im Mai des Jahres hieß es dann, der Konzern arbeite an einer kabellosen Version, weshalb die Veröffentlichung der Steam Machines auf 2015 verlegt werden musste.

Die Entwicklung des unkonventionellen Steam Controllers verzögerte den Launch der Steam Machines. Die Entwicklung des unkonventionellen Steam Controllers verzögerte den Launch der Steam Machines.

Erst im März 2015 meldete Valve, der Steam Controller habe sein finales Design erhalten. Vorbestellungen der Steam Machines waren dann im Juni 2015 möglich. Die ersten Reviews der fertigen Mini-PCs im November, etwa von Alienwares Steam Machine, Alpha, waren ernüchternd und warfen die Frage auf, für wen die Steam Machines überhaupt gedacht waren.

Wie die Verkaufszahlen später zeigen sollten, galt das Experiment Steam Machine als gescheitert. Bis Juni 2016 wurden nur rund 500.000 Exemplare verkauft. Zum Vergleich: Sony verkaufte bereits 2013, also in weniger als zwei Monaten, 4,3 Millionen PS4-Konsolen, Microsoft hingegen 3 Millionen Xbox-One-Konsolen. 2018 stellte Valve die Werbung für die Steam Machines auf Steam ein und im November 2019 die Produktion der Steam Controller. Die Restbestände der Controller wurden für nur 5,55 Dollar verkauft, ein Zehntel des regulären Preises. Vergangenes Jahr gab Newell zu: "Die Hardware war damals nicht annähernd bereit."

Nur Valve begeisterte sich für SteamOS

Die Ursachen für das Scheitern der Steam Machine gehen aus Interviews mit ihren Herstellern hervor. Einer der Hauptgründe: das Betriebssystem. "Niemand kaufte sie mit SteamOS", so der ehemalige Digital Storm Marketing Manager Rajeev Kuruppu. Schuld daran war neben Performance-Problemen vor allem der Mangel an Spielen. Die meisten PC-Titel werden für Windows konzipiert. Auf Steam sind heute rund 51.000 Spiele für Microsofts Betriebssystem verfügbar, für Linux nur knapp 8.000. Erst im August 2018 bat Valve dank der Software Proton eine Möglichkeit, für Windows entwickelte Steam-Spiele auf Linux laufen zu lassen. Zu spät für die Rettung der Steam Machines.

Die Abneigung gegenüber Linux betraf auch Entwickler*innen. Um Linux-Ports zu rechtfertigen, muss die Nachfrage stimmen. Möglich ist das nur mit einer entsprechend großen Basis von Spieler*innen. Allerdings spielt weiterhin nur weniger als ein Prozent aller Steam-Nutzer*innen auf Linux – unter anderem wegen des Spielemangels. Das Henne-Ei-Problem war selbst Newell bekannt.

Das unscheinbare Steam Link ließ die Steam Machines zunehmend obsolet wirken. Das unscheinbare Steam Link ließ die Steam Machines zunehmend obsolet wirken.

Diverse Hersteller weigerten sich daher, ihre Steam Machines ausschließlich mit SteamOS anzubieten. "Wir wollten unseren Kund*innen keine Erfahrung bieten, die nur darauf beschränkt war und somit die Zahl der spielbaren Titel limitiert", so der ehemalige Origin PC CEO Kevin Wasielewski. Origin PCs Steam Machine, Chronos, bot etwa ein sogenanntes Dual Boot Feature, das Nutzer*innen die Wahl zwischen Windows und SteamOS ließ. Später verzichtete der Hersteller ganz auf Valves Betriebssystem.

Noch während der finalen Phase der Entwicklung der Steam Machines schoss sich Valve ein letztes Mal ins eigene Bein. Zeitgleich zum Launch der Mini-PCs sollte im November 2015 Steam Link erscheinen. Ein Gerät, das Steam-Spiele vom PC auf den Fernseher streamt, mit einer Auflösung von 1080p und 60 Bildern pro Sekunde. "Das war ja eigentlich die Idee hinter dem SteamOS", sagt Hoang. Konkret meint er damit: Es war möglich, von Windows-PCs mit Steam auf die Steam Machines zu streamen.

Das Konzept Steam Machine schien zunehmend obsolet, nicht zuletzt wegen des vergleichsweise niedrigen Steam-Link-Preises von 49,99 Dollar. Ob Steam Link zum Scheitern der Steam Machines beigetragen hat, ist fraglich. Schlussendlich ereilte das Gerät ein ähnliches Schicksal. Im November 2018 stellte Valve die Produktion ein und verkaufte das restliche Kontingent für lediglich 2,49 Dollar. Als Ersatz dient heute die kostenlose Steam Link-App für Android, iOS und Smart-Fernseher von Samsung.

Eine ungewisse, aber vielversprechende Zukunft

Ob das Steam Deck eine goldene Zukunft erwartet, darüber lässt sich derzeit nur spekulieren. Zumindest laut Valve scheint das wahrscheinlich, denn man habe aus der Vergangenheit gelernt: "Steam Deck fühlt sich wie der Höhepunkt unserer bisherigen Arbeit an", erklärt Valve Designer Greg Coomer. Durch Steam Link soll Valve mehr über das Streamen vom PC erfahren haben, der Steam Controller habe hingegen gezeigt, was Kund*innen besonders wichtig sei. 

Glaubt man den Prognosen, wird dem Steam Deck eine bessere Zukunft bevorstehen als den Steam Machines. Glaubt man den Prognosen, wird dem Steam Deck eine bessere Zukunft bevorstehen als den Steam Machines.

Weil der Handheld auf Proton setzen wird, sollten der Spielemangel und Kompatibilitätsprobleme mit Linux außerdem weitestgehend der Vergangenheit angehören. Eine gute Nachricht, nicht nur für Nutzer*innen. "Uns war es wichtig, ihnen mitzuteilen, dass sie dieses Mal nichts porten müssen. Eure Spiele werden auf dem Steam Deck laufen", versichert Coomers Kollege Lawrence Yang allen Entwickler*innen.

Derweil konnten namhafte Influencer*innen und Journalist*innen das Steam Deck ausprobieren. Ihre Einschätzung: Valve könnte mit dem Handheld die Erfolge feiern, die man sich vor fünf Jahren von den Steam Machines erhoffte. Mit der Veröffentlichung des Steam Decks im Dezember 2021 wird feststehen, ob sie damit Recht behalten sollen. Wünschenswert wäre für Valve, dass der Handheld eher an die Erfolge von Half Life und weniger an die Misserfolge ihrer Mini-PCs anknüpft.

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