Seite 2: Irreführendes Marketing bei Aliens: Colonial Marines - Die Aliens-Farce

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Chronologie des Chaos

Sie beginnt im Jahr 2006, als Sega erstmals einen noch unbenannten Aliens-Shooter von Gearbox (damals vor allem bekannt für Brothers in Arms) ankündigt. Laut verschiedener Quellen haben die Arbeiten zu diesem Zeitpunkt entweder noch überhaupt nicht begonnen oder befinden sich in einer sehr frühen Phase.

In einer frühen Phase hatte Borderlands 1 noch nicht den heute charakteristischen Cel-Shade-Look. In einer frühen Phase hatte Borderlands 1 noch nicht den heute charakteristischen Cel-Shade-Look.

Kein Wunder also, dass sich der ursprünglich geplante Erscheinungstermin Ende 2008 als unhaltbar herausstellt. Aussagen eines anonymen Ex-Mitarbeiters zufolge arbeitet Gearbox zu diesem Zeitpunkt überhaupt nicht mit voller Kraft an dem Spiel, sondern zieht mehr und mehr Leute vom Team ab, um sich auf die Shooter-Beutehatz Borderlands zu konzentrieren. Mit Colonial Marines geht es so langsam voran, dass Sega das Spiel 2008 sogar kurzzeitig auf Eis legt. Nachvollziehbar, schließlich dürfte der Publisher zu diesem Zeitpunkt bereits ein ordentliches Sümmchen an Gearbox überwiesen haben, das nun indirekt in die Entwicklung von Borderlands geflossen sein könnte. Andere Quellen hingegen behaupten, Gearbox sei mit dem Budget nicht ausgekommen und habe mehr Geld gefordert, was Sega jedoch abgelehnt habe.

Warum sich der Publisher dennoch entschließt, Gearbox eine zweite Chance zu geben, ist unklar. Womöglich möchte Sega seine Investition nicht komplett abschreiben, womöglich gibt es eine Übereinkunft zwischen den Parteien. So oder so soll Colonial Marines nun 2009 erscheinen. Doch auch dieser Termin zieht ohne große Neuigkeiten von der Aliens-Front ins Land, dafür wird Borderlands veröffentlicht und avanciert prompt zum Überraschungshit.

Wie ein anderer ehemaliger Gearbox-Angestellter verrät, macht sich das Studio sofort an die Entwicklung einer Fortsetzung - was erneut recht wenig Zeit für das längst überfällige Colonial Marines lässt. Aus diesem Grund sei die Entscheidung getroffen worden, den Löwenanteil der Arbeit an kleinere Studios auszulagern. Gearbox bleibt offiziell Hauptentwickler, macht aber nur noch den Mehrspielermodus - und auch den mit Unterstützung von Demiurge und Nerve Studios. Die Einzelspieler-Kampagne geht Ende 2010 an Timegate Studios (Section 8). Und die sind ziemlich überrascht, wie wenig Spiel bislang bei Gearbox entstanden ist. Mehrere Entwickler sprechen von einem Flickenteppich aus Daten, in dem niemals die Arbeit von vier Jahren stecken könne.

So steht bei der Übernahme durch Timegate die Handlung des Spiels immer noch nicht fest. Immer wieder fliegen Szenen und ganze Levels raus, weil Autoren beider Studios die Geschichte umschreiben. Wohlgemerkt: Wir reden hier von einer Handlung, die vom Lizenzgeber Fox offiziell als Teil des Alien-Kanons eingestuft ist. Einer Handlung, die laut Ankündigungen »mehr Charakter-Drama als die Filme« bieten soll.

Doch das bisschen Story, das Gearbox und Timegate letztendlich zusammenschustern, strotzt nicht nur vor Klischees - es trampelt auch munter über die etablierte Vorgeschichte hinweg, belebt tote Figuren mit einem Schulterzucken wieder und ignoriert alles, was den Schreibern nicht in den Kram passt (Wie, Hadley's Hope wurde zerstört?).

Aliens: Colonial Marines - Test-Video zum Aliens-Shooter Video starten 7:20 Aliens: Colonial Marines - Test-Video zum Aliens-Shooter

Alle sind unschuldig

Wer nun die Hauptschuld am schlechten Zustand des finalen Spiels trägt? Nun ja, das hängt davon ab, wem man zuhört. Anonyme Timegate-Mitarbeiter machen - wenig überraschend - vor allem Gearbox und Sega verantwortlich. Sega, weil der Publisher gegen den Willen der Entwickler auf mehr Schießereien gegen menschliche Soldaten und weniger Kämpfe gegen Aliens gedrängt haben soll, um Fans von Call of Duty zu gewinnen. Und Gearbox, weil sie einige der »talentiertesten Leute« von Timegate an die Luft gesetzt hätten und mit schlechter Aufsicht das Projekt gegen die Wand führen. »Alles, was Timegate gemacht hat, geschah auf direkte und explizite Anweisung von Gearbox«, grollt ein angeblicher Insider.

Während der Entwicklung von Colonial Marines soll sich Gearbox lieber auf Borderlands 2 konzentriert haben. Während der Entwicklung von Colonial Marines soll sich Gearbox lieber auf Borderlands 2 konzentriert haben.

So sei auch die irreführende Demo für die E3 2011 zustande gekommen. Zu diesem Zeitpunkt ist die Veröffentlichung des Spiels für 2012 anberaumt und es wird Zeit, die Hype-Maschine anzuwerfen. Ein Timegate-Mitarbeiter erinnert sich: »Uns wurde während der Demo-Produktion immer wieder gesagt: ›Kümmert euch nicht um die Hardwareanforderungen, macht es einfach umwerfend.‹« Auf handelsüblichen Konsolen bekommt Timegate das Gezeigte aber nicht zum Laufen. Ungeachtet der Tatsache, dass Dutzende Konsolenspiele mühelos besser aussehen, schrauben sie die Grafikqualität nach der Präsentation immer weiter zurück. Das auch der Öffentlichkeit mitzuteilen, hält niemand für notwendig.

Aus der Veröffentlichung 2012 wird wieder nichts, Sega setzt den Februar 2013 als finalen Termin an. Mitte 2012 ist Borderlands 2 größtenteils fertig und Gearbox nimmt Colonial Marines wieder unter seine Fittiche - nur um festzustellen, dass sich das Spiel in einem katastrophalen Zustand befindet und auf der Playstation 3 überhaupt nicht funktioniert. Einer Quelle zufolge steht Sega jedoch schon kurz davor, Gearbox zu verklagen und niemand traut sich, nach sieben Jahren Entwicklungszeit um einen weiteren Aufschub zu bitten. Stattdessen wirft Gearbox in den letzten neun Monaten nochmal jede Menge Grafiken und Spielmechaniken über den Haufen und entwickelt sie auf den letzten Drücker neu.

Niemand wird gerne ein Lügner genannt

Wie ein Spiel mit neun Monaten Entwicklungszeit fühlt sich Colonial Marines bei Erscheinen dann auch an; Spieler und Presse sind gleichermaßen entsetzt. Die Beteiligung von Timegate ist zwar inzwischen kein Geheimnis mehr, wird aber doch heruntergespielt: Laut Sega habe das Studio dem Hauptentwickler Gearbox nur »geholfen«. Dem gegenüber stehen Lebensläufe von Timegate-Mitarbeitern, die deutlich mehr als nur Hilfsarbeit für sich beanspruchen.

In dieser Szene aus Aliens: Colonial Marines fallen die schlechten Lichteffekte besonders auf. In dieser Szene aus Aliens: Colonial Marines fallen die schlechten Lichteffekte besonders auf.

Ob wir überhaupt noch eine offizielle Erklärung für das Debakel erwarten dürfen, ist ungewiss. Enttäuschte Käufer müssen sich bislang mit inoffiziellen Aussagen und Gerüchten zufrieden geben - und mit einem vagen, noch unerfüllten Twitter-Versprechen Randy Pitchfords, zumindest über eine Erklärung für die E3-Demo nachzudenken. Gleichermaßen verwahrt sich Pitchford jedoch gegen jegliche Täuschungsvorwürfe: »Niemand wird gerne ein Lügner genannt.«

Wie geht es also weiter mit Aliens: Colonial Marines? Für Timegate nimmt die Geschichte ein böses Ende, kurz nach der Veröffentlichung des Spiels müssen sie mehreren Berichten zufolge 25 ihrer Mitarbeiter entlassen. Aber das ist nicht das Ende des Spiels, denn Sega und Gearbox haben sich mit dem Verkauf eines Season Pass zu vier DLC-Paketen verpflichtet. Das erste davon, Bug Hunt, ist bereits erschienen und fügt einen kooperativen Hordenmodus ein, in dem sich Spieler auf drei neuen Maps gegen immer stärkere Feindeswellen behaupten müssen.

Vorab-Screenshots versprachen spannende Powerloader-Kämpfe, die sich im fertigen Spiel als hakelige Spaßbremsen entpuppten. Vorab-Screenshots versprachen spannende Powerloader-Kämpfe, die sich im fertigen Spiel als hakelige Spaßbremsen entpuppten.

Obendrein erhält das Spiel einen satte 4 Gigabyte schweren Patch, der Fehler ausmerzt, die KI verbessert und sogar die Grafik verbessert - wenn auch noch lange nicht auf das Niveau des vorab gezeigten Materials. Das Update erscheint ohne große Fanfare - man mag es als stilles Eingeständnis sehen, dass Gearbox sich der Schwächen des Titels bewusst ist, oder sogar als Versuch einer Entschuldigung. Aber eine ehrliche Stellungnahme bleibt das Studio seinen Kunden auch weiterhin schuldig.

Ebenso still wird es um die geplante WiiU-Version. Die sollte spätestens Ende März erscheinen, Gerüchte eines Entwicklungsstops werden von Sega im Februar noch dementiert. Warum sie dann die angepeilte Veröffentlichung verpasst hat, will der Publisher nicht kommentieren. Dafür müssen sie ihr Schweigen an anderer Stelle brechen: Ein Reddit-Nutzer reicht eine Beschwerde bei der britischen Autorität für Werbestandards ein und Sega sieht sich gezwungen, die gravierenden Unterschiede zwischen den Trailern für Aliens: Colonial Marines und dem fertigen Spiel einzugestehen. In Zukunft sollen alle betroffenen Videos auf Youtube und der offiziellen Website mit einer entsprechenden Warnung versehen werden.

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