Wegen diesem Spiel hab ich schon sieben neue Bücher gekauft - und ich bin noch lange nicht durch

Während Autorin Ann-Kathrin den NPCs in Tiny Bookshop Literaturempfehlungen gibt, wächst ihr eigener Bücherstapel in einem beunruhigenden Tempo mit.

Ann-Kathrin hat Tiny Bookshop ausprobiert. Ann-Kathrin hat Tiny Bookshop ausprobiert.

Mein Bücher-Pile of Shame ist größer als ich. Bedeutend. Wenn ich keinen E-Reader hätte, bräuchte ich in spätestens zehn Jahren die Bibliothek aus "Die Schöne und das Biest". Und wegen Tiny Bookshop wird der Haufen gerade stetig größer und größer. Na lieben Dank auch.

In dem Adventure von neoludic games schnappe ich mir ein Auto und eine kleine Hütte auf Rädern, den namensgebenden Tiny Bookshop, und fliehe aus der stressigen Metropolis in das beschauliche Küstenstadt Bookstonbury. Die Mischung aus dem Stardew Valley-Dörfchen und Stars Hollow strotzt nur so vor Leseratten, die mir die Bücher aus den Händen reißen. 

Ann-Kathrin Kuhls
Ann-Kathrin Kuhls

Ann-Kathrin (oder AK) ist zwar mittlerweile Team Lead für den GamePro- und GameStar-YouTubekanal, angefangen hat sie aber hier, bei der GamePro. Und wenn ein Thema auftaucht, was ihr absolut am Herzen liegt, haut sie immer noch unheimlich gerne selbst in die Tasten. Ein Spiel über ein idyllisches Örtchen, in dem man freundlichen Menschen Bücher verkaufen kann, fällt genau in die Kategorie.

Darum geht es in Tiny Bookshop

Das Grundprinzip ist ganz einfach: Ich hab einen kleinen Anhänger, den ich mit einer Kiste gebrauchter Bücher ausstatte und dann zur Küstenpromenade fahre. Dort baue ich alles auf und warte auf Laufkundschaft. Also Menschen, die die Neugier in meinen drolligen Anhänger treibt.

Die meisten wählen ihre Bücher selbst, aber ab und an ploppt jemand auf, der eine Empfehlung benötigt. Zum Beispiel einen Thriller, aber bitte keine populärwissenschaftliche Literatur. Ein Blick in mein Regal zeigt fünf Krimis. Einer von ihnen: "Das Schweigen der Lämmer". Bingo!

Der nächste möchte eine Biografie. Aber spannend sollte sie sein. Und mit einer politischen Botschaft. Kein Problem! "Mein Katalonien" von George Orwell ist biografisch, aber trotzdem spannend, und der Kampf gegen Faschisten im spanischen Bürgerkrieg definitiv politisch. Topf trifft Deckel. 

Was darf's sein? Ein Kunde fragt im Laden nach Hilfe.

Die Qual der Wahl Er gibt eine kurze Beschreibung, den Rest mache ich.

Erfolg! Wenn ich das richtige Buch ausgewählt habe, freut sich der Kunde und meine Bücher verkaufen sich kurzzeitig besser.

Die Vibes der Bücher müssen stimmen

Das Empfehlungssystem für die Bücher ist wirklich gut. Es geht nicht nur drum, das richtige Genre zu finden, oder eine bestimmte Seitenzahl. Die Bücher müssen auch vom Vibe her passen, wie die coolen Kids sagen.

Ich kann jemandem auf der Suche nach Science Fiction ein Buch aus dem Krimiregal verkaufen, wenn es "Der Marsianer" ist. Und "Artemis Fowl" ist nicht nur Fantasy, sondern auch eine Buchreihe über das Erwachsenwerden.

Natürlich ist es befriedigend, wenn ich direkt das richtige Buch im Kopf habe. Aber das Rätselraten um einen passenden Titel, wenn ich es nicht sofort parat habe, macht eigentlich noch viel mehr Spaß. Mein aktueller Endgegner ist allerdings eine Möwe. Für die hab ich noch nicht das perfekte Buch gefunden. Reiseliteratur wollte sie nicht, aber auch keine Fantasy. "Kah-Kah".

Ich hab gedacht, wenn Möwen eins gerne lesen, dann Der Schwarm. Falsch gedacht. Ich hab gedacht, wenn Möwen eins gerne lesen, dann "Der Schwarm". Falsch gedacht.

Am allerbesten ist es aber, wenn ich ein Buch empfehlen kann, das ich selbst unheimlich gern mag. "Artemis Fowl" zum Beispiel. Oder der "Herr der Diebe".

Wenn die andere Person sich über meine Empfehlung freut, wird mir richtig warm ums Herz, weil ich weiß, dass sie mit einem tollen Buch nach Hause geht. Auf der anderen Seite ist es natürlich umso vernichtender, wenn sie es mit einem “Danke für nichts” ablehnt. Aber wer nicht wagt, der nicht gewinnt, oder so.

Ab und an streite ich mich allerdings auch - einseitig - mit den NPC. Und zwar, wenn ihre und meine Meinungen über Genres auseinandergehen. Was soll das heißen, "Frankenstein" ist keine Hochliteratur? Entschuldigung? Das Buch hat Horror nachhaltig geprägt! Ich glaub es geht los.

Aber wenn ich eins in meinem abgebrochenen Germanistik- und Anglistik-Studium gelernt habe, dann, dass sich über Genres seit Jahrhunderten herrlich streiten lässt. Und spätestens seit meinem Studi-Nebenjob weiß ich: Ist auch egal, was ich denke, der Kunde oder die Kundin hat sowieso immer Recht (in den Fragen des Geschmacks).

Glückliche Kund*innen kaufen nicht nur mehr Bücher, ihre Begeisterung bufft den ganzen Shop und für eine kurze Zeit geht mehr Ware über die Ladentheke. Mit den Einnahmen des Tages kaufe ich dann neue Bücher und Regale für noch mehr Leute und so wächst mein Geschäft jeden Tag ein bisschen mehr. 

Dramabonus!

Das ist aber noch nicht alles. Mit der Zeit schalte ich immer neue Verkaufsorte frei, alle mit ihren eigenen Genrevorlieben. An der Küstenpromenade lieben die Leute Reiseliteratur und Sachbücher. Am Strand gehen Krimis, Kindergeschichten und Fantasy weg wie warme Semmeln.

Bevor ich mich also dorthin aufmache, muss ich sichergehen, dass ich genug von den passenden Genres dabei habe. Neue Bücher finde ich unter anderem per Anzeige in der Zeitung oder auf dem wöchentlichen Flohmarkt.

Im Kurier finden sich die wichtigsten Events der nächsten Tage, das Wetter und neue Buchpakete. Im Kurier finden sich die wichtigsten Events der nächsten Tage, das Wetter und neue Buchpakete.

Läuft der Handel, kann ich mich um meinen Anhänger kümmern. Ihn zum Beispiel zuallererst einmal pink einfärben. Ein Schild dranhängen, das meine Bücher bewirbt. Vielleicht ein Pflänzchen hier und da. Und eine Kaffeemaschine, denn Literatur und ein gutes Heißgetränk gehören einfach zusammen.

Das ganze Dekogedöns sieht aber nicht nur hübsch aus, sondern hat auch einen Zweck: Kunden anzulocken und möglichst lange im Laden zu behalten. Eine meiner Pflanzen erhöht die Verkaufschancen auf Kinderbücher und Dramen. Mein Schild garantiert fünf Prozent mehr Kundschaft. Die Kaffeemaschine lenkt die Leute zwar ein bisschen ab, dafür kann ich aber mit ihr Kaffee verkaufen und nen Dramabonus bekomme ich auch noch dazu. 

Mein kleiner Anhänger, kaum eingerichtet, ganz am Anfang. Im Laufe des Spiels kommen noch jede Menge Deko und neue Regale dazu. Mein kleiner Anhänger, kaum eingerichtet, ganz am Anfang. Im Laufe des Spiels kommen noch jede Menge Deko und neue Regale dazu.

Trotzdem kann ich nicht einfach wild Gegenstände in meinen Anhänger stopfen: Gegenstände wie die Maschine kommen nicht nur mit täglichen Kosten, sondern auch mit Nachteilen. Mein Totenschädel verbessert meine Chance, Krimis zu verkaufen um vier Prozent, aber weil er so schaurig aussieht, senkt er meine Chancen bei Kinderbüchern um zwei Prozent.

Und dann sind manche Effekte auch noch wetter- und Jahreszeitabhängig. Oder die Seemänner sind sauer, wenn ich nicht genug Meer-Deko mit zum Fischmarkt bringe. Ich muss also gut überlegen, was ich an welchem Tag verkaufen will, wo ich hin will und wen ich dort treffe.

Wer jetzt im Geiste schon die Excell-Tabelle zusammenstellt, keine Sorge: Die gesammelten Buffs, Debuffs und Voraussetzungen für die einzelnen Tage und Orte stehen im Baumenü und in meinem praktischen Notizheft.

Dort hält das Spiel auch automatisch fest, welche Bücher wo gut laufen. Allzu tief will ich in die Mechaniken jetzt auch gar nicht eintauchen, aber ihr seht schon: Einfach nur jeden Tag mit ner Kiste Bücher am Strand auftauchen ist nicht. Allein schon, weil der Strand im Winter gesperrt ist.

Am Café laufen zum Beispiel Klassiker, Drama, Krimis und Theaterstücke am Besten. Am Café laufen zum Beispiel Klassiker, Drama, Krimis und Theaterstücke am Besten.

Das "Menschen Dinge verkaufen und ihnen dabei helfen"-Genre

Und dann käme auch ein sehr wichtiger anderer Part zu kurz: Die Menschen und die Atmosphäre von Bookstonbury. Denn Tiny Bookshop ist ein "Menschen Dinge verkaufen und ihnen dabei helfen"-Spiel. Das ist kein offizielles Genre, aber es schließt Games wie Coffee Talk, VA-11 Hall-A oder Strange Horticulture ein.

Leute kommen in meinen Laden, ich suche ihnen was Passendes aus, und mit der Zeit bekomme ich durch Gespräche einen Einblick in ihr Leben. Bonuspunkte, wenn ich dabei noch das Leben in der Stadt, dem Dorf oder der Cybertaverne verbessern kann. So ist es auch in Bookstonbury.

Falls euch Spiele aus diesem absolut nicht offiziellen Genre gefallen, hab ich hier noch ein paar für euch:

  • VA-11 Hall-A
  • Coffee Talk
  • Strange Horticulture
  • Strange Antiquities (kommt bald)
  • Tavern Talk
  • The Red Strings Club
  • Death and Taxes
  • The Cosmic Wheel Sisterhood

Jede der Figuren, auf die ich treffe, hat ihre Lieblingsorte und Lieblingsgenres, und eine Story, die sich während meiner Zeit in Bookstonbury entspinnt. Eine Person schließt die Uni ab und versucht auf eigenen Beinen zu stehen, eine andere muss ihre Schüchternheit überwinden, um erfolgreiche Reportagen zu schreiben. Es gibt Familienstreit, Krankheit, und Sorgen ums Älterwerden, aber auch unheimlich schöne Momente wie ein gemeinsamer Abend am Strand, um den Sommer ausklingen zu lassen. 

Hach ... ich wäre gerade auch echt gern am Strand. Hach ... ich wäre gerade auch echt gern am Strand.

Ich könnte jetzt sagen, ich helfe den Einwohnern, weil ich einfach so ein guter Mensch bin. Vielleicht. Das Spiel belohnt mich aber auch einfach sehr gut für meine guten Taten. Zum Beispiel zeigen mir Bewohner*innen neue Orte, es gibt seltene Deko oder Achievements, die als Sticker in meinem Notizbuch landen. Manche Quests laufen quasi von selbst, für andere muss ich schon ein bisschen nachdenken. Wie werde ich beispielsweise ein riesiges Kreuzfahrtschiff los, das den Hafen verschmutzt? 

Was mir auch wirklich gut an Bookstonbury gefällt, ist die Diversität ihrer Bewohner*innen, und das nicht nur bei den Hauptfiguren. Es gibt nicht "die eine" Person, die bunte Haare hat. Oder im Rollstuhl sitzt. Oder dey/dem Pronomen benutzt. Es gibt sie überall.

Meiner Meinung nach merkt man, dass sich das Devteam Gedanken gemacht hat, wie man unterschiedliche Menschen repräsentieren kann, ohne sie durch ihre Unterschiede besonders hervorzuheben und dadurch am Ende dann doch wieder zu isolieren. Sie sind Teil von Bookstonbury und leben dort einfach ihr Leben. Und das find ich wirklich toll. Ich persönlich hätte mir vielleicht noch ein paar mehr Plus Size-Menschen gewünscht, aber das kann ja noch kommen.

In Bookstonbury sind viele unterschiedliche Menschen unterwegs. In Bookstonbury sind viele unterschiedliche Menschen unterwegs.

Zu viele Bücher? Gibt es nicht!

Eine Nebenwirkung von Tiny Bookshop habe ich total unterschätzt: Ich habe zu viele Bücher gefunden, die ich selbst lesen möchte. Mittlerweile sind es sieben.

Wusstet ihr zum Beispiel, dass der "Atlas der erfundenen Orte" von Edward Brooke-Hitching historische Karten mit tatsächlichen Irrtümern und Erfindungen zeigt? Oder das in "Babel" von R.F. Kuang Sprache die Magie ist? Das hat sich die Film- und Medienstiftung NRW, die das Spiel mitgefördert hat, ja gut überlegt! Wegen euch ist mein "Zu lesen"-Stapel konstant weiter gewachsen. 

Aber Spaß beiseite: Die Auswahl ist wirklich vielseitig. Und neben vielen echten Klassikern sind auch immer wieder Bücher eingestreut, die sich auf die Spielwelt beziehen, sodass mir im ersten Jahr immer wieder was Neues aufgefallen ist. Mit der Zeit doppeln sich die Bücher, aber das ist nicht wirklich schlimm. Denn so hab ich im Laufe der Zeit immer öfter bei einer Anfrage bereits im Kopf, was ich empfehlen will, so wie es sich für eine gut sortierte Buchladenbesitzerin gehört.

Mittlerweile bin ich nach über zwanzig Spielstunden in meinem zweiten Jahr in Bookstonbury und es tun sich trotzdem noch neue Orte und Erzählstränge auf. Außerdem habe ich noch so viel Deko zu kaufen, dieses Jahr will ich an Halloween so richtig schaurig dekorieren, und das neue Stadtbeet hab ich auch noch nicht besucht.

Mein Portemonnaie weint vielleicht, wenn ich Tiny Bookshop spiele, aber mein Büchernerdherz ist voller Freude. Eine Frage bleibt am Ende aber dann doch noch: Was lesen Möwen denn jetzt am liebsten?

Tiny Bookshop ist am 7. August für Nintendo Switch und PC erschienen

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