Alan Wake im Test: Im Dunkeln tippen

Grusel statt Horror, Story statt Splatter, Spannung statt Terror – Alan Wake macht im Test für die Xbox 360 vieles anders, aber nicht alles richtig.

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Hinweis:
Anlässlich des Releases von Alan Wake Remastered haben wir den ursprünglichen Test der Xbox 360-Version aus dem Mai 2010 ein wenig überarbeitet und neu veröffentlicht. Die damalige Wertung gilt auch heute noch, bleibt also dementsprechend unangetastet.

Es kann jeden treffen! Von Philosophen über Dramatiker und Romanciers bis hin zu Werbetextern, Internet-Bloggern oder Videospielzeitschriften-Tastenprüglern: Kein Schreiber auf diesem Planeten ist sicher vor der unüberwindlichen Mauer, die sich zwischen das gedachte und das geschriebene Wort schieben kann und wie eine geistige Darmverschlingung den Fluss von Buchstaben, Silben, Worten und Sätzen unterbricht. Auch Alan Wake, Hauptdarsteller des gleichnamigen Spiels, könnte ganze Seiten zum Thema Schreibblockade abliefern -- wenn er denn nur schreiben könnte.

Seit zwei Jahren hat der gefeierte Schriftsteller kein einziges Wort mehr zu Papier gebracht. Ablenkung -- das einzig probate Mittel gegen eine Schreibblockade -- ist ebenso wirkungslos geblieben wie die Inspirationsversuche von Wakes Frau Alice. Ständiger Druck seitens seines Agenten Barry und die immense Erwartungshaltung der Fan-Gemeinde tun ihr übriges, um Mr. Wake in eine Krise zu stürzen, die sich unter anderem durch quälende Schlaflosigkeit und die damit einhergehende Anspannung bemerkbar macht.

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Auf nach Bright Falls

Um Alans Kreativität und ihre Ehe zu retten beschließt Alice, der Familie Wake einen Urlaub zu verordnen. Und so macht sich das Paar auf den Weg nach Bright Falls, einem verschlafenen Nest im Bundesstaat Washington. Die von schroffen Felsmassiven und düsteren Wäldern umrahmte Stadt ist das genaue Gegenteil von New York -- jeder kennt jeden, alles läuft langsam, entspannt und freundlich ab.

Das höchste Gebäude von Bright Falls hat drei Stockwerke, es gibt ein klassisches Diner, Daunenwesten in Signalfarben sind en vogue und der Höhepunkt des kulturellen Lebens ist das jährliche Hirschfest. Was hier so spannend klingt wie eine Folge Lindenstraße, sollte bei Videospielern und Fans von Fernsehserien sämtliche Alarmglocken läuten lassen - immerhin fallen auch Orte wie Silent Hill, Twin Peaks oder Raccoon City in die Kategorie "verschlafene Kleinstadt".

Alan Wake: Zu Beginn des Spiel lernt ihr in Ruhe einige der Bewohner von Bright Falls kennen. Alan Wake: Zu Beginn des Spiel lernt ihr in Ruhe einige der Bewohner von Bright Falls kennen.

Das ist ja wie ne Serie!

Wie man es dreht und wendet, das Thema Videospielhorror ist mittlerweile ziemlich ausgequetscht. Das wissen natürlich auch die geistigen Väter von Alan Wake. Anstatt dem Rezept anderer Hersteller zu folgen und die inspirationsfreie Horrorsuppe erneut aufzukochen, haben die Entwickler ihrem Kind einen anderen Namen geben. Alan Wake will nämlich kein Horror-Spiel sein, sondern versteht sich als "Psychological Action Thriller". Doch damit nicht genug.

Alfred Hitchcocks +quot;Die Vögel+quot; ist eindeutig eine der Inspirationsquellen der Entwickler gewesen. Alfred Hitchcocks "Die Vögel" ist eindeutig eine der Inspirationsquellen der Entwickler gewesen.

Auch in Bezug auf Erzählweise und Struktur der Geschichte haben sich die kreativen Köpfe einiges vorgenommen. Anstatt euch ohne Unterbrechung vom Anfang zum Ende der Story zu scheuchen, ist Alan Wake wie eine Fernsehserie, die euch in sechs Episoden Alan Wakes Abenteuer nacherleben lässt. Natürlich inklusive Vor- und Abspann, Cliffhänger-Situationen und einer Zusammenfassung der bisherigen Ereignisse am Anfang jeder neuen Episode.

Wunderschöne Landschaften

Bereits zu Beginn des Abenteuers merkt man, wie sehr Alan Wake von dem Fernsehserien-Gedanken durchdrungen ist. Ein extralanger Kameraflug trägt uns -- von dramatischer Musik begleitet -- über einen breiten Fluss, kreist über Bright Falls und verliert sich dann zwischen üppigen Wäldern und zerklüfteten Felswänden. Die sonnendurchflutete Landschaft sieht so lebendig und beeindruckend aus, dass man fast meint, man könne die würzige, kalte Herbstluft riechen. Allerdings verströmt die wuchtige Landschaft nicht nur anheimelnde Gefühle. Passend zum Herbst, der von vielen mit Verfall und Tod gleichgesetzt wird, sorgt die von Streichern dominierte Hintergrundmusik für ein leichtes Gefühl der Beklommenheit. Man ahnt bereits jetzt, dass da etwas faul ist im Staate Washington.

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Beginn im Diner

Nachdem wir die tuckernde Autofähre verlassen haben, geht es ins örtliche Diner, wo wir von einem gewissen Mr. Stuckey die Schlüssel für unsere gemietete Hütte bekommen sollen. Amerikanische Diner sind nicht einfach irgendwelche Cholesterin-Tempel, sondern eine gesellschaftliche Institution. Egal ob in Bright Falls, Raccoon City oder Silent Hill – irgendwann wird jeder Neuankömmling an die Theke des örtlichen Diners gespült.

Nachdem Alan Wake jedoch das nach Kaffee und Burgern riechende Kleinstadt-Klischee betritt, steht er im wahrsten Sinne des Wortes neben sich. Als bekennender Fan des Autors hat die Kellnerin nämlich einen Pappaufsteller mit dem Konterfei des Schreibers direkt neben den Eingang gepflanzt. Von der Thekenfrau erfahren wir, dass Mr. Stuckey gerade die Hose in Kniehöhe trägt und da wir nicht warten wollen, marschieren wir an Holzfällern, Cops und Senioren vorbei in Richtung des Stillen Örtchens. Plötzlich weht ein mehr als intensiver Hauch Twin Peaks durch den Raum. Das WC liegt in einem Korridor, in dem das Licht ausgefallen ist, eine vor sich hinbrabbelnde, offensichtlich verwirrte alte Dame warnt den Schriftsteller davor, sich ins Dunkel zu begeben.

Eine der Stärken der Spielengine: die Landschaftsdarstellung. Eine der Stärken der Spielengine: die Landschaftsdarstellung.

Als waschechter New Yorker lässt sich Wake von der alten Schachtel natürlich nicht ins Bockshorn jagen, betritt den dunklen Korridor und wird von der Finsternis verschluckt. Diese Dunkelheit ist anders: lauernd, undurchdringlich, schwärzer als schwarz und gierig darauf, jeden Lichtstrahl zu fressen. Bevor wir an die Tür der Herrentoilette klopfen können, tönt eine brüchige weibliche Stimme aus dem Dunkel, die uns an Spinnenbeine auf einer Raufasertapete erinnert. Eine krallenartige Hand drückt Wake den Schlüssel und eine Wegbeschreibung in die Hand und schon sitzen wir wieder bei Alice im Auto und brausen in Richtung Hütte. Das plötzlich ein korpulenter Mann aus dem Diner stürzt und keuchend "Mr. Wake, ihre Schlüssel!" hinter dem zu weit entfernten Auto herruft, bekommen Alan und Alice nicht mehr mit. Wir aber schon….

Der Weg in die Dunkelheit

Nachdem Alan und Alice ihre auf einer kleinen Insel gelegene Hütte erreicht haben, ziehen dunkle Wolken am ohnehin schon trüben Beziehungshimmel auf. Als ob Wakes Agent Barry mit seinen ständigen Anrufen nicht schon genug Druck ausüben würde, hat auch die wohlmeinende Alice eine Überraschung für Mr. Wake parat. Als seine Frau ihm eine Schreibmaschine präsentiert und im selben Atemzug die am Rand von Bright Falls gelegene Künstler-Klapsmühle des Doktor Kaufmann erwähnt, geht der übermüdete Autor hoch wie der Eyjafjallajökull und stürmt aus der Hütte. Ein gellender Schrei seiner Frau wäscht Alans Zorn hinfort, doch zu spät. Als er zur Hütte zurück kehrt, ist Alice verschwunden.

Alan Wake: ... des Nachts düster und bedrohlich. In dieser Hütte findet Alan alles, nur keine Erholung. Alan Wake: ... des Nachts düster und bedrohlich. In dieser Hütte findet Alan alles, nur keine Erholung.

Einen Wimpernschlag später wacht Alan ohne jede Erinnerung an die vergangenen Tage im Wrack eines Autos auf und ist mindestens genauso verwirrt wie wir. Aber es wird noch rätselhafter, denn nach und nach tauchen die Seiten eines Manuskriptes auf, das offensichtlich aus Alan Wakes Feder stammt. Dumm nur, dass sich der Schlaflose nicht daran erinnern kann, auch nur ein einziges Wort davon geschrieben zu haben. Also machen wir uns mit Taschenlampe, Pistole und einer gehörigen Portion Verwirrung daran, Licht ins Dunkel zu bringen.

Ohrenbluten von der deutschen Synchronisation

Während seiner Reise durch die Dunkelheit sammelt Alan Wake natürlich nicht nur herumliegende Manuskriptseiten ein. Während wir wie Fox Mulder mit herumzitternden Lichtfingern durch den nächtlichen Wald stolpern, kommt es zu einer ersten unheimlichen Begegnung der dunklen Art. Der Nebel wird dichter, Bäume werden von starken Böen durchgeschüttelt und die gesamte Umwelt verändert sich: Wolken hetzen über den Nachthimmel, alles wirkt plötzlich milchig und unwirklich. Nachdem wir mit klopfendem Herzen durch ein grob zusammen gezimmertes Holztor gehetzt sind, werden plötzlich Erinnerung an Camp Crystal Lake wach.

Wir glauben, die deutsche Synchronisation hat uns gerade ins Ohr ge*****. Äh... Wir glauben, die deutsche Synchronisation hat uns gerade ins Ohr ge*****. Äh...

Im Schein der Taschenlampe schält sich eine stämmige, seltsam verschwommene Gestalt aus dem Nebel und eine Stimme grunzt "Die Nachtschicht verursacht Krebs!". An dieser Stelle wird jeder, der das deutsche Schulsystem erfolgreich durchlaufen hat vor eine schwere Wahl gestellt: Entweder man kümmert sich um den grunzenden Giganten, oder man versucht, dass von der deutschen Tonspur (die Verkaufsversion ist zum Glück mehrsprachig) verursachte Ohrenbluten zu stoppen und sich Sätze wie "Ich glaube meine Zunge hat mir gerade in den Mund geschissen.", zu ersparen. Das laute Rattern einer Kettensäge macht uns jedoch unmissverständlich klar, dass wir uns besser um das Überleben von Mr. Wake kümmern sollten.

Licht als Waffe

Wer mal versucht hat, in einer bayrischen Dorfbäckerei ein Brötchen anstatt einer Semmel zu bekommen weiß, dass der Landbevölkerung selten mit guten Argumenten beizukommen ist. Dementsprechend werden die Bösewichte bei Alan Wake auch nicht in die Flucht gequasselt oder zu Tode geschrieben, sondern erst beleuchtet und dann erschossen. Damit das klappt, gilt es den Unhold so lange mit der Taschenlampe zu beleuchten, bis seine dunkle Energie erschöpft ist und ihm dann eine Ladung Blei in den schmuddeligen Overall zu pumpen. Was hier ganz einfach klingt, wird spätestens dann zu einer durchaus nervenaufreibenden Sache, wenn ihr es mit ganzen Horden der grunzenden, geifernden und aggressiven Irren zu tun bekommt.

Leuchten Das Kampfsystem: Anleuchten, bis die Energie des Gegners erschöpft ist...

Schießen ... dann Feuer frei!

Zum Glück hat Alan Wake für den Notfall ein paar leuchtende Asse im Ärmel. Mit einer Leuchtfackel blendet ihr gleich mehrere dunkle Gestalten und zieht ihnen dunkle Energie ab. Die seltenen Blendgranaten lassen die Biester sofort in einem Funkenregen verglühen und wer eine Leuchtkugel in eine Gruppe Finsterlinge oder Vögel jagt, gibt dem Wort Lichterkette eine neue Bedeutung. Im Verlauf des Abenteuers bekommt ihr es natürlich nicht nur mit menschlichen Gegnern, sondern auch mit der Natur zu tun. Aggressive Vogelschwärme versuchen euch in bester Hitchcock-Manier zu Tode zu flattern, ein merkwürdiger Tornado hängt euch an den Fersen und zu allem Überfluss gehen auch unbelebte Gegenstände und Maschinen auf euch los. Und ihr könnt uns glauben: Mit einem wütenden Mähdrescher im Nacken wird selbst der Besuch eines einfachen Bauernhofes zu einer echten Erlebnisreise.

Spielerische Schwächen

So bedrohlich die Begegnungen mit Mähdreschern und Baumaschinen auch inszeniert sein mögen, aus spielerischer Hinsicht haben die Kämpfe wenig Fleisch auf den Knochen. Ein Beispiel: Wir befinden uns auf einem alten Güterbahnhof. Nachdem wir mit gewaltigen Kabelrollen beworfen worden sind und uns ein Schulbus um die Ohren geflogen ist, bekommen wir es mit den Einzelteilen einer alten Lokomotive zu tun. Das bedeutet, Kessel, Tender und Führerhaus fliegen euch solange ins Gesicht und um die Ohren, bis ihr ihnen mit der Taschenlampe heimgeleuchtet habt.

Die Fahrsequenzen sind ein spielerischer Schwachpunkt. Die Fahrsequenzen sind ein spielerischer Schwachpunkt.

Theoretisch klingt das ziemlich spannend, praktisch stellt sich das Spiel an diesen Stellen oftmals selbst ein Bein. Denn die Objektphysik hat so ihre Tücken. So ist es während des Tests mehrmals vorgekommen, dass sich die Einzelteile der Lok in der Luft ineinander verkeilt haben und als zitternder, schwebender Haufen rostigen Metalls in der Luft "kleben" geblieben sind und wir sie ohne Probleme vernichten konnten. Ähnliche Dinge stellen sich ein, wenn ihr in einer der wenigen Fahrsequenzen von der Straße abkommt und eure Karre an einem Kieselstein oder einem Holzscheit hängen bleibt und sich keinen Millimeter mehr von der Stelle rührt.

Schauplätze und Rätsel

Obwohl die Schießereien mit der Mörderbande den Kern der Spielmechanik bilden, sind es die Handlungsorte, die Alan Wake zu einem angenehmen Gruselerlebnis werden lassen. Interessanterweise haben die Entwickler fast nur Gebäude und Gegenden ins Spiel eingebaut, die man eigentlich nur ungern (oder mit einem flauen Gefühl im Magen) betreten würde. Oder hättet ihr Lust, nachts durch eine alte Mine zu geistern, eine abgelegene leerstehende Farm zu erforschen oder ausgedehnte Wanderungen im finsteren Gebirge zu machen?

Ähnlich wie Silent Hill macht sich auch Alan Wake den Taschenlampen-Effekt zu Nutze. Die eingeschränkte Sicht zwingt euch zu äußerster Konzentration. Und wer sich dabei ertappt, hektisch in Richtung eines jeden Geräusches zu leuchten, der ist den Designern in die Falle gegangen. Hinter jeder Ecke könnte ein dunkles Wesen lauern, das hervorragende Spiel von Licht und Schatten tut sein Übriges, um die bedrohliche Atmosphäre aufrecht zu erhalten. Im Gegensatz zu Dead Space oder den Horror-Titeln von Sega bleibt Alan Wake über die gesamte Distanz angenehm spannend, ohne in nervenzerfetzenden Terror auszuarten.

In einer Episode besucht Alan eine Geisterstadt. In einer Episode besucht Alan eine Geisterstadt.

Das Tempo des Spiels ist ebenfalls angenehm niedrig. Zwischen den Ballereien warten immer wieder kleine Aufgaben darauf, gelöst zu werden. Meist gilt es dabei, Schalter zu drücken, um Tore zu öffnen oder den Weg für einen eurer sporadischen Begleiter frei zu räumen. Echte Rätsel, wie in den ersten Silent Hill-Teilen sind in Alan Wake jedoch Mangelware, was dem Spielspaß allerdings keinen Abbruch tut. Denn das größte Rätsel in Alan Wake ist die eigentliche Geschichte, die auf mehreren Ebenen abläuft.

Versteckte Secrets

Interessanterweise passiert das wirklich faszinierende an Alan Wake nicht auf dem Bildschirm, sondern in eurem Kopf. Alan Wake hält sich nämlich nicht an die »Wir kauen euch alles bis ins kleinste Detail vor«-Erzählweise der meisten anderen Genrevertreter, sondern setzt vor allem auf die Neugier des Spielers. So sind die herumliegenden Manuskriptseiten Fluch und Segen zugleich. Einige der Papierfetzen schildern Dinge aus der Vergangenheit, andere erzählen euch, was in wenigen Sekunden passieren wird. Und wieder andere geben einen kryptischen Ausblick auf die Dinge, die da kommen werden. Doch damit nicht genug: Wer sich die Zeit nimmt, den zahlreichen Radiosendungen zu lauschen oder sich die von »Twilight Zone« inspirierte Mystery-Serie »Night Springs« in den herumstehenden Fernsehern zu Gemüte führt, fühlt sich bald wie ein Puzzlespieler der nicht weiß, wo er anfangen soll.

Tag... Bei Tage anheimelnd und freundlich...

...und Nacht ... des Nachts düster und bedrohlich. In dieser Hütte findet Alan alles, nur keine Erholung.

Es ist genau diese Doppelbödigkeit, die Alan Wake so faszinierend und teilweise auch überraschend macht. Gerade wenn man glaubt, sich endlich einen Pfad durch das Dickicht der Hinweise, Andeutungen und möglichen Realitäten geschlagen zu haben, wirft euch das Spiel ein neues Puzzleteil hin lässt damit die vermeintliche Lösung wieder in die Ferne rücken. "Träumt der Typ das?", "Ist er in der Twilight Zone gelandet", "Ist Alan Wake einfach nur verrückt?" oder "Hat David Lynch an dem Spiel mitgearbeitet?", sind die Fragen, die ihr euch mit Sicherheit häufig stellen werdet.

Inspiration aus der Popkultur

Damit eine Geschichte spannend und interessant bleibt, braucht man nicht nur gruselige Orte, sondern auch entsprechende Charaktere, um die Handlung mit Leben zu füllen. Auch in dieser Hinsicht haben die Entwickler einen sehr guten Job gemacht. So hält euch Alan Wake ständig mit inneren Monologen über seinen Gemütszustand auf dem Laufenden und schafft so zwischen Spieler und seinem virtuellen Alter Ego ein Gefühl der Gleichheit. Denn der Puppenspieler und seine Polygon-Marionette stellen sich dieselben Fragen, tappen im selben Dunkel herum und teilen im besten Falle sogar ihre Gefühle.

An einigen Stellen im Spiel gilt es schlicht und einfach nur die Stellung zu halten. Gut wenn man dann eine Polizistin an seiner Seite hat. An einigen Stellen im Spiel gilt es schlicht und einfach nur die Stellung zu halten. Gut wenn man dann eine Polizistin an seiner Seite hat.

Man kann nicht umhin, eine gewisse Befriedigung zu empfinden, wenn Alan Wake einem nervigen neunmalklugen Psychiater unversehens eins auf die Nase gibt oder sich die dunklen Schleier langsam lichten und Spieler*in und Spielfigur fast zeitgleich begreifen, was wirklich passiert. Die begleitenden Charaktere sind ebenfalls gut ausgearbeitet und bieten genau das, was man von einer guten Mystery-Serie erwarten würde: Der rätselhafte FBI-Beamte mit einer Neigung zum Alkohol ist ebenso vorhanden wie der nervige Literatur-Agent oder die aufrechte Gesetzeshüterin. Trotz der düsteren Geschichte haben es die Entwickler nicht vergessen, ein wenig wohldosierten Humor ins Spiel zu bringen.

So begegnet ihr einem uralten Rockstar, der sich Thor nennt und anstatt des mächtigen Mjölnir einen Quietsche-Hammer für Kinder schwingt. Oder Alans Agent Barry, der sich mit einer Helmlampe ausrüstet und darüber referiert, dass diese Funzel sein eigenes "Auge von Mordor" wäre. Allerdings soll an dieser Stelle auch bemerkt werden, dass die Geschichte von Alan Wake zwar sehr gelungen, aber keineswegs innovativ ist. Wer in den letzten Jahren auch nur einen Hauch Popkultur geatmet hat, wird unübersehbare Parallelen zu "Twin Peaks", dem John Carpenter-Film "Die Mächte des Wahnsinns", der Stephen King-Verfilmung "Stark" oder den Schauergeschichten von Howard Phillips Lovecraft entdecken. Obwohl sich Alan Wake auch vor Hitchcock verbeugt, sind die größten Inspirationsquellen offensichtlich Horror-Autoren wie Stephen King oder Dean Koontz gewesen. Eine Prise "Rhea M" hier, etwas "Shining" dort und ein wenig "Phantoms" obendrauf -- fertig ist die Laube.

Alan Wake - Test-Video Video starten 6:36 Alan Wake - Test-Video

Grafik und Sound

Alan Wake befand sich über fünf Jahre in der Entwicklung und hat im Laufe der Zeit grundlegende konzeptionelle Veränderungen durchlaufen, was man dem Spiel sowohl im positiven-, als auch im negativen Sinne deutlich anmerkt. So wirken die teilweise etwas hüftsteifen Animationen des Hauptdarstellers und seiner Verbündeten nicht mehr ganz zeitgemäß. Obwohl die Zwischensequenzen gut inszeniert sind, obwohl gerade der Detailgrad von Gesichtern im Vergleich zu Titeln wie Heavy Rain etwas zu wünschen übrig. Lässt man die Story außen vor, bleibt abgesehen von Leuchten und Ballern nicht wirklich viel übrig.

Wenn die Tierwelt verrückt spielt, hilft nur eine Taschenlampe. Hier versucht Alan, einen Hubschrauber vor den Vögeln zu retten. Wenn die Tierwelt verrückt spielt, hilft nur eine Taschenlampe. Hier versucht Alan, einen Hubschrauber vor den Vögeln zu retten.

Auch das Fernsehserienkonzept hat einen gravierenden Nachteil, denn die Geschichte verläuft absolut linear, Entscheidungsmöglichkeiten oder gar unterschiedliche Endsequenzen sucht ihr bei Alan Wake vergeblich. Schade, denn das eine oder andere Spin-Off (um bei den Fernsehserien zu bleiben) hätte dem Spiel gut zu Gesicht gestanden. Kleinere Unstimmigkeiten wie mangelnde Übersicht in den Kämpfen, oder die frickelige Ausweichfunktion fallen spielerisch nicht wirklich ins Gewicht, sollten aber nach fünfjähriger Entwicklungszeit eigentlich nicht vorkommen. Auf der anderen Seite erschlägt euch Alan Wake mit wirklich wunderschönen Handlungsorten, sowie tollen Grafik- und Soundeffekten und vielen winzigen Details.

So verändert sich zum Beispiel das Farbspektrum mit fortlaufender Spieldauer. Alles wirkt etwas milchig, leicht überstrahlt und bei Bewegungen sieht man leichte Verwisch-Effekte. Genau so, wie man die Welt eben wahrnimmt, wenn man längere Zeit nicht geschlafen hat. Das größte Manko von Alan Wake ist allerdings die mit sechs bis acht Stunden etwas kurz geratene Spieldauer. Gerade dann, wenn man sich in der herbstlichen Gruselwelt richtig wohlfühlt, ist der Spaß auch schon wieder vorbei.

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