Fazit: Beyond: Two Souls im Test - Wenig Spiel, viel Film

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Fazit der Redaktion

Tobias Veltin: Ich habe Beyond an einem Stück durchgespielt und genau das bekommen, was ich erwartet habe: eine tolle, cineastisch präsentierte Story mit scharf gezeichneten, glaubwürdigeren Charakteren - und vergleichsweise rudimentären spielerischen Elementen. Und die haben mich beim Test teilweise ganz schön genervt: Warum gibt es so wenige Interaktionsmöglichkeiten? Warum läuft die Kontrolle über Aiden immer nach demselben Schema ab? Und warum zum Teufel kann ich nicht schneller laufen? Es sind viele kleine Dinge, über die ich mich bei Jodies Abenteuer ärgere, gleichzeitig gibt es aber viele Dinge, die Beyond gut und richtig macht. Die Atmosphäre passt, die Technik ist der Hammer, und dank der unterschiedlichen Enden stimmt auch der Wiederspielwert. Die Geschichte um Jodie und Aiden ist allerdings ein Experiment, auf das man sich einlassen muss. Und wer das tut, bekommt vor allem einen ordentlichen Film - und nur beiläufig ein paar halbgare Happen Spiel.

Michael Graf: Beyond ist ein klassisches Spalterspiel, dem man grundsätzlich jede Wertung zwischen 60 und 90 geben kann. Ich kann jeden verstehen, der die PS3 angesichts der spielerischen Einfalt und hakeligen Bedienung nach fünf Minuten wieder abschaltet. Auf der anderen Seite verstehe ich auch jeden, der Beyond für das bejubelt, was es nun mal ist: etwas Besonderes! Nur wenige Spiele trauen sich, die Geschichte und ihre Charaktere so sehr in den Vordergrund zu stellen, so sehr auf Stimmung zu setzen statt auf stimmige Mechanik. Das verdient Applaus, mir persönlich ist die Geschichte sowieso viel wichtiger ist als die reine Mechanik, ein perfekt erzähltes Spiel verdient locker eine 90er-Wertung. Der Haken an der Sache: Beyond ist nicht perfekt erzählt. In der Story klaffen Logiklücken, vielen wird nur unzureichend oder gar nicht erklärt. Deshalb halte ich die 81 Punkte für das richtige Urteil. Sie sollen ausdrücken, dass Beyond etwas Einzigartiges ist, ein Spiel, das sich Story-Liebhaber anschauen müssen - aber es ist kein perfekt geschliffenes Juwel der Erzählkunst. Und ja, da kann man auch von einem David Cage inzwischen mehr erwarten.

Kai Schmidt: Ist es ein Spiel? Ist es ein Film? Oder ist es gar ein Kunstwerk? Nunja, die letzte Kategorie schließe ich zumindest für mich persönlich aus. Mit Kunst hat das, was David Cage mit Beyond: Two Souls auftischt, nicht viel zu tun. Nur weil der Ablauf anders ist als bei normalen Spielen und die vorgefertigten Filmsequenzen durch Gefühlsausbrüche bei einem Charakter, der mich völlig kalt lässt, weil ich nichts über ihn weiß und trotzdem eine Bindung aufbauen soll, ist dieses Werk keine große Kunst. Die spielerischen Anforderungen sind dermaßen minimal, dass ich Beyond nicht einmal guten Gewissens als richtiges Spiel bezeichnen möchte. Es ist tatsächlich ganz schön verzwickt, denn auch als interaktiver Film funktioniert der Titel nicht für mich: Die sinn- und verstandlosen Sprünge durch die Zeitebenen lassen die Story unnötig wirr erscheinen. Ich kann in dramatisch angelegten Szenen keine Beziehung zu der Figur der Jodie aufbauen, weil ich im Endeffekt nichts über sie weiß. Das zeigt sich sehr schön bei der Partyszene relativ am Anfang: Hier habe ich die Wahl, im Dialog mit einem Typen, der Jodie anbaggert, entweder die Wahrheit über ihre Vergangenheit zu erzählen, den Mund zu halten, oder ihn anzulügen. In diesem Moment sitze ich etwas hilflos vor dem Fernseher, denn … warum sollte ich ihn anlügen? Gibt es dafür einen Grund? Habe ich was verpasst? Wer ist diese Jodie überhaupt? Neben der (zumindest in meinen Augen) wirren Erzählung stört mich noch etwas anderes.

Es hat ein wenig gedauert, bis ich beim »Spielen« wahrgenommen habe, was das ist. Was macht ein Spiel aus? Egal, ob Video-, Brett- oder sonstige Spiele: Die Definition dessen, was den Spaß beim Spiel ausmacht, ist die Herausforderung, zu gewinnen oder andernfalls zu verlieren. Bei Beyond kann ich gar nicht verlieren, es geht einfach weiter. David Cage hat vor kurzem gesagt, dass das »Game Over« gleichbedeutend mit dem Scheitern des Spieldesigners ist. Ich denke, Herr Cage hat da etwas missverstanden … das »Game Over« signalisiert dem Spieler, dass er sich mehr anstrengen muss, es schafft die Motivation, besser zu werden, macht letztendlich den Reiz eines Spiels aus. Mit seinen Ambitionen, statt eines fordernden Spiels (vermeintlich) künstlerisch anspruchsvolle Berieselung schaffen zu wollen, wäre David Cage wohl besser in der Filmindustrie aufgehoben. Doch selbst dort würde er wohl letztlich versagen, da er beim Erzählen der Geschichte immer wieder Fehler macht - die man natürlich nicht bemerkt, wenn man mit dem Vorsatz an Beyond herangeht, ein emotional und erzählerisch anspruchsvolles Kunstwerk erleben zu müssen, bloß weil Quantic Dream draufsteht. Jedes andere Spiel, das zu etwa 70 Prozent aus Quick-Time-Events besteht, würde wohl einvernehmlich von Kritikern wie Spielern in der Luft zerrissen werden. Eines muss ich Beyond allerdings zu Gute halten: David Cage hat es geschafft, eine einigermaßen interaktive Trainingsmontage einzubauen, wie sie in den 1980ern in keinem guten Actionfilm fehlen durfte. Danke dafür!

Markus Schwerdtel: Wenn ein Titel mit bekannten Schauspielern, Autoren oder Komponisten beworben wird, bin ich immer besonders skeptisch. Zu oft sollen die großen Namen über mittelmäßige Qualität hinwegtäuschen. Entwarnung: Das ist bei Beyond: Two Souls definitiv nicht der Fall. Ganz im Gegenteil, Jodies Horror-Trip profitiert immens von der Prominenz-Beteiligung. Bei den vielen (obendrein hervorragend geschriebenen) Dialogen merkt man einfach, dass hinter den Figuren Profis wie Ellen Page oder Willem Dafoe stecken. Vom hervorragenden Zimmer-Soundtrack ganz zu schweigen. Allerdings zeigt diese Filmhaftigkeit umso deutlicher: Two Souls ist kein Spiel im traditionellen Sinn. Auch wenn man, wie von den Machern versprochen, am Controller deutlich mehr gefordert ist als noch im geistigen Vorgänger Heavy Rain - wer gerne ballert, rätselt oder schleicht, ist hier fehl am Platz.

Two Souls wirkt zwar runder, ausgefeilter, polierter als die Suche nach dem Origami-Killer, aber es ist immer noch ein Experiment. Allerdings diesmal eins, das man PS3-Besitzern nahezu uneingeschränkt empfehlen kann. Nicht, weil es »ein gutes Spiel ist«, dafür sind die traditionellen spielerischen Elemente dann doch oft zu holprig oder eintönig. Aber dieses Stück Software zeigt, wie digitale Unterhaltung in Zukunft aussehen kann. Durch die häufigen Zeitsprünge in Episoden aufgeteilt wirkt das Abenteuer fast schon wie eine hochwertige TV-Serie. Ich jedenfalls werde Beyond: Two Souls nicht in mein Spieleregal einsortieren, sondern bei den DVD-Boxen - genau zwischen American Horror Story und Breaking Bad.

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