Nazi-Symbole, Crunch und Mismanagement: Bei Square Enix und Life is Strange-Macher Deck Nine soll es hinter den Kulissen krachen

Ein ausführlicher Bericht zeichnet gar kein gutes Bild von den Zuständen, die offenbar beim Life is Strange-Entwicklerstudio Deck Nine herrschen.

Die queere, umsichtig erzählte Story von Life is Strange: True Colors musste wohl hart erkämpft werden. Die queere, umsichtig erzählte Story von Life is Strange: True Colors musste wohl hart erkämpft werden.

Stellt euch vor, ihr arbeitet an einem Spiel wie Life is Strange und entdeckt dann plötzlich Nazi-Symbole während der Entwicklung. Erst nur eine 88 und eine 18 – das könnte natürlich noch Zufall sein. Doch dann kommen auch noch Anspielungen auf rassistische Memes und eine waschechte Nazi-Rune dazu.

Aber es wird noch schlimmer: Diese Funde sind offenbar tatsächlich so passiert und wurden dem Management weitergeleitet, das dann allerdings erst einmal gar nichts unternimmt. Das war allerdings wohl nur die Spitze des Eisbergs dessen, was da bei Deck Nine los zu sein scheint.

Mitarbeiter*innen des Life is Strange-Entwicklerstudios Deck Nine beklagen massive Probleme

Darum geht's: Deck Nine hat die Life is Strange-Reihe von Dontnod übernommen, die Rechte liegen beim Publisher Square Enix.

Neben Before the Storm und Life is Strange: True Colors wurde auch das Remaster der ersten beiden Teile bei Deck Nine entwickelt. Aber offenbar unter sehr schwierigen Bedingungen, wie jetzt ein ausführlicher und haarsträubender IGN-Bericht nahelegt.

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Mismangement und Crunch ohne Ende:

Laut den Aussagen von vielen anonymen Deck Nine-Mitarbeiter*innen war wohl vor allem die Kommunikation zwischen dem Entwicklerstudio und Publisher Square Enix problematisch.

Das Studio sei gewissermaßen das niedrigstbietende gewesen, was zu konsequentem Geld- und Zeitmangel sowie Überstunden geführt habe. Teilweise seien mehrere Wochen mit über 70 oder sogar 80 Arbeitsstunden die Regel und nicht die Ausnahme gewesen.

Das Deck Nine-Management habe es nicht geschafft, sich gegen den Druck und die teils wohl absurden Forderungen des Publishers durchzusetzen, worunter das ganze Team leiden musste. Teils mit regelrecht wahnwitzigen Auswüchsen, wenn die Berichte stimmen. Beispielsweise wollte Square wohl nicht, dass im Vorfeld des True Colors-Launchs darüber berichtet wird, dass Hauptfigur Alex bisexuell ist.

"Selbst in unseren Presse-Guides von Square Enix, bis zu dem Moment, an dem die Review-Kopien draußen waren, sollten wir überhaupt nichts über die Sexualität von Alex sagen, wirklich gar nichts."

Als dann die begeisterten Reviews eintrudelten, in denen gelobt wurde, dass es mit Alex endlich eine explizit bisexuelle Protagonistin gibt, war Square Enix dann aber plötzlich bereit, offen zu kommunizieren, dass das der Fall ist. Das wirkt bei einem Spiel wie Life is Strange mit großer queerer Fanbase natürlich ganz besonders kurios und unverständlich.

Sexuelle Belästigung und mehr:

Allem Anschein nach mussten vor allem queere Menschen und Frauen unter den Bedingungen leiden, die bei Deck Nine geherrscht haben.

Es sei immer wieder zu sexistischen Scherzen gekommen, Frauen sollen deutlich schlechter bezahlt und seltener befördert worden sein. Dann gab es wohl auch noch einige Personen, die mit besonders toxischem Verhalten hervorgestochen sind, indem sie beispielsweise ständig herumgebrüllt und Leute beschimpft haben.

Ein besonders problematischer Mensch scheint Narrative Director und späterer Deck Nine-CCO Zak Garriss gewesen zu sein. Zumindest häufen sich die anonymen Berichte über dessen unangebrachtes Verhalten, vor allem gegenüber jungen Frauen, deren Mentor er eigentlich sein sollte. Es gab laut den Aussagen von Mitarbeiter*innen auf jeden Fall in der Regel ein deutliches Machtgefälle in diesen Beziehungen.

Zak Garriss soll diesen jungen Frauen unter anderem Beförderungen oder Gehaltserhöhungen in Aussicht gestellt und sie mit Komplimenten überhäuft haben. Gleichzeitig habe er ihnen stets implizit Avancen gemacht, sie zu sich nach Hause eingeladen, sie zum Auto begleitet und extra nach Feierabend noch länger mit ihnen Zeit verbracht.

"Ich habe mich zuerst dumm gefühlt, überhaupt mit ihm in so einer Situation zu landen. Aber weil er nie einen eindeutigen Move gemacht hat, dachte ich, ich interpretiere da vielleicht zu viel in die ganze Sache hinein. Erst als ich das anderen mit allen Details erklärt habe, wurde mir das klar gemacht."

Besonders problematisch sei dabei gewesen, dass alle Frauen, die dieses Verhalten erlebt haben, immer das Gefühl gehabt haben sollen, nicht Nein sagen zu können. Generell sei Zak Garriss sehr ausfallend geworden, wenn jemand nicht seiner Meinung war. Viele Beschwerden über ihn hätten zu nichts geführt, das Management habe sich im Gegenteil stets dafür stark gemacht, ihn an Bord zu behalten.

Nicht der richtige für so ein Spiel? Der Narrative Director soll sich auch dafür eingesetzt haben, eine trans Person aus der Geschichte von Life is Strange: True Colors zu streichen. Als das Social Media-Team von Deck Nine etwas zu den Black Lives Matter-Protesten posten wollte, habe Zak Garriss BLM eine Hassgruppe genannt. Wer sich ihm entgegenstellte, wurde kritisiert, sich zu sehr an politischen Ideologien aufzuhängen.

"All das Zeug, das die Leute in der queeren Community [an True Colors] gelobt haben, wurde hart erkämpft. [Zak Gariss] hatte erfahrene, queere Menschen in seinem Autor*innenteam, denen er nicht vertraut hat. Das Thema des Spiels ist Empathie, die Fähigkeit ist Empathie, aber er hatte selbst eigentlich gar keine.

Er hat darüber geredet, wie empathisch er sich gegenüber den Leuten fühlt, aber er wirkte tatsächlich regelrecht abgestoßen von Erfahrungen, mit denen er sich selbst nicht identifizieren konnte. Wenn jemand über eine Erfahrung gesprochen hat, die er als marginalisiertes Individuum gemacht hatte, war seine Reaktion darauf immer 'Ist das wahr?'"

Nazi-Symbole und untätiges Management:

Nachdem Zak Garriss bei Deck Nine ausgeschieden war, hörten die internen Probleme des Studios aber nicht auf. Im Gegenteil: In einem einzigen Raum des kommenden Life is Strange-Spiels wurden gleich mehrere Nazi-Codes, -Symbole und -Memes entdeckt. Neben den Zahlencodes, die noch Zufall sein könnten, war diese Anhäufung für viele Mitarbeiter*innen einfach zu viel, um nicht beabsichtigt zu sein.

"Also entweder war das ein Fall der schlechtesten Miskommunikation, die die Menschheit je erlebt hat, oder Occam's Razor: Die simpelste Erklärung ist, dass irgendwer versucht hat, herauszufinden, mit wie vielen von diesen Dingen man davon kommen kann, bevor es jemandem auffällt."

Besonders schlimm wirkt in diesem Zusammenhang aber, dass das Management erst einmal gar nichts unternommen hat. Als dann nach Monaten doch noch eine Reaktion der Führungsebene auf die vielen Beschwerden erfolgte, war es nur ein lapidares "wir glauben nicht, dass das Absicht war".

Diese Naivität und Unbekümmertheit sowie Uninformiertheit stößt natürlich insbesondere bei den marginalisierten sowie rassifizierten und damit selbst betroffenen Teilen der Belegschaft auf Unverständnis und Besorgnis.

Wieder einige Wochen und viele Beschwerden später sollte das Ganze dann aber doch noch weiter untersucht und sogar eine externe Firma damit beauftragt werden. Allerdings gibt es dazu keine weiterführenden Informationen und die versprochenen Prozesse wie Anti-Hatespeech-Regeln und Trainings wurden wohl auch immer noch nicht implementiert.

Besonders tragisch und schade wirkt das alles natürlich, wenn wir uns noch einmal vor Augen führen, dass hier viele marginalisierte Menschen Spiele machen, die sich an eine ebenso unterpriviligierte Zielgruppe richten. Aber währenddessen sind sie intern offenbar sogar noch stärker Anfeindungen, Rassismus, Queerfeindlichkeit und Sexismus ausgesetzt, als es gesamtgesellschaftlich bereits der Fall ist.

In Statements gegenüber IGN haben sich auch das Deck Nine-Management und Zak Garriss auf Nachfrage hin zu Wort gemeldet. Allerdings weisen die natürlich alle Vorwürfe weit von sich und sind sich keiner Schuld bewusst.

Es lohnt sich in jedem Fall, den ganzen, sehr ausführlichen wie bitteren IGN-Bericht zu lesen.

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