Filmperspektive - Als Survival Horror noch filmisch wirkte [Anzeige]

Horrorfilme haben eine ganz eigene visuelle Sprache, mit der Filmemacher wunderbar experimentieren können. Davon haben sich Horrorspiele in den 90ern inspirieren lassen. Doch mit der Popularität von Ego-Sicht und Schulterperspektive ging allmählich die Kunst der festen Kamerawinkel verloren.

Pünktlich zu Halloween erscheint auf dem Streaming-Dienst Sky eine neue Horrorserie mit dem klangvollen Namen Hausen. Bereits in der ersten Episode wird deutlich: Die Bildsprache ist fantastisch! Gekonnt wird hier mit einer stimmungsvollen Farbgestaltung, kontrastreicher Ausleuchtung und vor allem teils entrückt wirkenden Kameraperspektiven gearbeitet. An fast jedem Bild ist immer etwas unheimlich. Manchmal ist die Kadrage etwas versetzt, als man es üblicherweise gewohnt ist. Oder ein Dutch Angle deutet an: An diesem Ort stimmt etwas nicht. Hausen spielt in einem ausgedehnten Plattenbau, das ein Eigenleben zu haben scheint. Des Öfteren blicken die kauernden Protagonisten zur Decke, während die Kamera sie aus einer Untersicht filmt. Schließlich schwebt metaphorisch gesehen eine Gefahr über ihren Köpfen, die ihnen wie die sprichwörtliche Decke auf den Kopf fallen könnte. Gleichzeitig hatten die Produzenten keine Scheu, dem Zuschauer unangenehme Bilder ins Gehirn zu pflanzen. An einer Stelle kommt Babygeschrei aus der Öffnung eines Müllschachts, während die Kamera eine Dollyfahrt in Zentralperspektive darauf macht. Wie es im Schacht aussehen mag, überlässt die Szene unserer Fantasie - die durch die düsteren Bilder ohnehin schon ziemlich strapaziert wird.

Die Nähe zum Horrorkino

Heute sieht Alone in the Dark nicht mehr nach viel aus, aber es ist eines der wichtigsten ersten Titel im Survival-Horror-Genre. Heute sieht Alone in the Dark nicht mehr nach viel aus, aber es ist eines der wichtigsten ersten Titel im Survival-Horror-Genre.

Hausen und zahlreiche andere Horrorproduktionen zeigen, dass das Genre allein durch seine Bildsprache für Spannung sorgen kann. Geschichten um verfluchte Häuser hat man schon in etlichen Ausführungen gesehen, aber wenn die audiovisuelle Gestaltung gut umgesetzt ist, macht es trotzdem Spaß. Die Liebe zum Horrorkino (bzw. -serien) übertrug sich schon früh auf Spiele. Bereits auf dem Commodore 64 entwickelte Dynamix mit Project Firestart (1989) einen Survival Horror, der sich stark von Ridley Scotts Alien inspirieren ließ. Der Spielablauf erinnerte durch die vielen Zwischensequenzen an einen Film. Am Kino orientierte sich nur wenige Jahre später auch Alone in the Dark (1992): Laufend wechselte das Spiel seine Kameraansicht, indem man einen perspektivisch korrekt eingefügten Polygon-Charakter durch eine Vielzahl vorgerenderter Hintergründe laufen ließ. Das hatte tatsächlich auch technische Gründe: Für detaillierte 3D-Umgebungen waren Computer und Konsolen nicht leistungsfähig genug. Daher boten sich bereits abgespeicherte 2D-Bilder als Alternative an. Die Grafiken konnten deshalb sehr viele Details haben, ohne viel Rechenleistung zu benötigen. Die ständigen Schnitte machte das Geschehen trotzdem dynamisch.

Die Silent-Hill-Serie wusste geschickt mit halbdynamischer Kameraführung umzugehen. Hier war besonders unheimlich, was im Verborgenen lag. Die Silent-Hill-Serie wusste geschickt mit halbdynamischer Kameraführung umzugehen. Hier war besonders unheimlich, was im Verborgenen lag.

Obwohl es nur ein paar Jahre später durchaus möglich war Umgebungen komplett in Echtzeit darzustellen, wie es etwa Silent Hill (1999) schon auf der originalen Playstation gemacht hat, entschieden sich viele Entwickler weiterhin für Kamerapositionen, die an einen Film erinnern. Alone in the Dark und das davon inspirierte Resident Evil (1996) gaben durch ihren kommerziellen Erfolg eine ästhetische Marschrichtung vor. Deshalb waren die festen Kameraperspektiven beim Survival Horror für eine lange Zeit ein fester Bestandteil der DNA. Mit dem Wechsel in 3D-Echtzeitgrafik ergab sich ein entscheidender Fortschritt: Es wurden mit einem Schlag komplexe Kamerafahrten möglich! Dolly-Fahrten, subtile Slider-Bewegungen, dramatische Enthüllungen, dynamische Zooms - all das war auf einmal umsetzbar. Survival Horror konnte fortan aus dem reichhaltigen Repertoire etablierter und experimenteller Filmsprache schöpfen. Was fortan gedeihte, nennen Genre-Connaisseure die goldene Ära des Survival Horror. Sie begann zunächst, als viele Entwickler dem Erfolg vom ersten Resident Evil nacheifern wollten. Doch schnell wuchs das Genre über die obligatorischen Zombies hinaus und brachte über die Jahre hinweg viele eigenständige Ideen hervor. Spiele wie Project Zero (2001), Haunting Ground (2005), D2 (1999) oder Rule of Rose (2006) gelten heute unter Genrefans als Klassiker, weil sie eine künstlerische Ästhetik mit schwierigen, psychologischen Themen verbanden. Da ging es manchmal schon um starken Tobak wie Mobbing, Missbrauch oder Suizid. Das Survival-Horror-Genre war aber so im Schwung und im Mainstream erfolgreich genug, dass Autorenteams die nötige Zeit bekamen, um komplexe Themen mit der nötigen Ernsthaftigkeit zu behandeln.

Große Teile in den Project-Zero-Spielen finden in verwinkelten Tempelanlagen statt. Durch clevere Kameraperspektiven meint man immer etwas im Schatten ausmachen zu können. Große Teile in den Project-Zero-Spielen finden in verwinkelten Tempelanlagen statt. Durch clevere Kameraperspektiven meint man immer etwas im Schatten ausmachen zu können.

Heute erscheint es fast unvorstellbar, dass sich ein internationales Blockbusterstudio je wieder an einen so schwierigen Stoff wie etwa Silent Hill 2 (2001) heranwagen würde - ein anspruchsvolles Spiel über Schuld und Sühne, das zugleich beliebtes Untersuchungsobjekt der Medienwissenschaft und ein Kaufgrund für die Playstation 2 war. Neben der Handlung wurde der Kameraarbeit ebenso viel Aufmerksamkeit gewidmet. Generell ist sie in den ersten vier Spielen der Silent Hill-Serie so durchdacht, dass die Verfilmung von Christophe Gans (2006) trotz toller Kameraarbeit Mühe hatte, eine ähnliche Wirkung auf der Leinwand zu entfalten. Dieser eiferte bloß einem Look nach, ohne dass dieser einen tieferen Sinn hatte, während das Entwicklerteam Team Silent ihre Bildsprache sorgfältig mit der Handlung und den Charakteren ihrer Spiele verknüpfte.

Zäsur durch die Schulterperspektive

Resident Evil 4 (2005) veränderte beinahe schlagartig alles. Während die Entwicklungs-Prototypen teilweise noch die klassischen festen Kamerawinkel besaßen, entschied man sich letztlich für eine nahe Schulterperspektive. Die funktioniert bei dem actionbetonten Gameplay, wo Protagonist Leon hauptsächlich mit Waffe im Anschlag unterwegs ist, absolut hervorragend. Da die Kamera sich immer sehr nah hinter ihm befindet, konnte man sich schnell in seine Lage versetzen. Fortan war die Schulterperspektive genreübergreifend sehr beliebt und war lange Zeit Standard, sogar in der eigenen Serie. Die Überraschung war erneut groß, als Resident Evil 7 (2017) mehr als ein Jahrzehnt später mit einem weiteren radikalen Perspektivenwechsel daherkam: Statt auf feste Kameras zu setzen, wie es in den meisten Vorgängern der Fall war, wurde das komplette Spiel ausschließlich aus der Ich-Perspektive gespielt. Die gesamte Spielerfahrung änderte sich dadurch grundlegend. Abgesehen von den drei Survivor-Spinoffs auf Playstation 1 und 2 (2000 bis 2003) haben die Fans das Universum von Resident Evil noch nicht aus dieser Sicht erlebt. Sie kam so gut bei Spielern und Presse an, dass Capcom die Ego-Perspektive auch in Resident Evil 8 einsetzen wird.

Der Verlust einer großen Kunst

Die Ich-Perspektive ist in Horrorspielen nicht unbedingt neu. Schon From Software nutzte sie 1998 in ihrer Echo Night-Reihe auf der originalen Playstation. Alien: Resurrection (2000) oder Hell Night (1998) sind weitere Beispiele. Jahre später griffen Indie-Titel wie Penumbra (2007) oder Amnesia: The Dark Descent (2010) das Prinzip auf. Ihr großer Erfolg sorgte unter anderem dafür, dass sich die Ego-Sicht besonders bei kleineren Horrorspielen etablierte. Das hatte u.a. auch Budgetgründe, denn auf diese Weise war es nicht nötig auf aufwendige Weise einen Hauptcharakter zu animieren. Resident Evil 7 reagierte sozusagen auf diesen Indie-Trend. Man wollte bewusst weg vom Blockbuster-Horror, den man zuvor noch mit Resident Evil 6 (2013) ausgereizt hatte.

Die Ego-Sicht bietet nicht den erzählerischen Freiraum wie feste Kameraführung, aber Positivbeispiele wie P.T. holen trotzdem viel aus ihr heraus. Die Ego-Sicht bietet nicht den erzählerischen Freiraum wie feste Kameraführung, aber Positivbeispiele wie P.T. holen trotzdem viel aus ihr heraus.

Die Ich-Perspektive bringt für Survival Horror-Spiele unbestreitbar viele Vorteile: Die Immersion wird erhöht und Spielewelten lassen sich im besten Fall intensiver erfahren, als wenn man von Außen seine Spielfigur betrachtet. Dadurch wird der Horror persönlicher, nahbarer, ein Stück greifbarer. Außerdem ist sie für viele Spieler durch die Direktheit der Steuerung zugänglicher, zumal sie sich nicht mit Tank-Controls auseinandersetzen mussten. So viele Vorteile Schulterperspektive und Ego-Sicht aber auch bringen: Durch sie ist die Kunst guter, filmischer Kameraansichten in Vergessenheit geraten. Vereinzelte neuere Titel, wie Song of Horror (2020) oder White Night (2015), verwenden zwar wieder feste Kameraansichten, aber sie wirken selten so durchdacht wie die Spiele aus der goldenen Ära. Ein ganz aktuelles Beispiel ist Men of Medan aus der Dark Pictures Anthology (2019): Die Grafik ist zwar schick, aber es gibt immer wieder Anschlussfehler, weil Bewegungen unterbrochen werden oder sogar in der Handlungsachse gesprungen wird. Manchmal kann man nicht einmal Zuordnen, wo Charaktere genau stehen oder hingehen, weil Establisher fehlen. Das ist eine besondere Ironie für ein Spiel, dass sich eigentlich weitestgehend als interaktiver Film versteht.

Song of Horror ist einer der wenigen aktuellen Survival-Horror-Titel, die auf eine feste Kamera setzen und diese auch klug einzusetzen weiß. Song of Horror ist einer der wenigen aktuellen Survival-Horror-Titel, die auf eine feste Kamera setzen und diese auch klug einzusetzen weiß.

Verlust eines dramaturgischen Mittels

Die Filmästhetik hebte Survival Horror-Spiele stark von anderen Genres ab. Ein weiterer Vorteil war die Möglichkeit zur Kaschierung von technischen Schwächen: Ähnlich wie bei einem Filmset konnten Entwickler den Bildausschnitt selbst bestimmen. Grafiker fokussierten ihre Aufmerksamkeit auf alles sichtbare im Frame. Alles außerhalb ist zweitrangig. Mit dem Wechsel zur Ich-Perspektive verlagert sich zudem der Fokus bei der Inszenierung des Raums. Wichtig ist nun, welche Punkte durch die Beleuchtung beim Eintreten direkt sichtbar sind - sei es durch die gegebene in der Kulisse oder durch die Reichweite der eigenen Taschenlampe. Die Herausforderung, eine gewünschte Raumwirkung zu erzielen, wird mit einer Ich-Perspektive ungleich schwieriger. Sie hat vor allem eine Absicht: Die volle Kontrolle über Kamera und Hauptcharakter. Dabei ist ironischerweise der Kontrollverlust der Sinn und Zweck von den festen Kameraeinstellungen der früheren Survival Horror-Spiele gewesen. Man kann mit ihnen viel besser unheimliche Dinge andeuten, die am Rande oder sogar außerhalb des Bildausschnitts liegen. Schatten, die sich im Rücken des Protagonisten bewegen, zum Beispiel. Oder unscharfe Schemen im Bildvordergrund außerhalb des Schärfebereichs. Ähnlich wie bei der Szene mit dem schreienden Baby aus der Serie Hausen ist oft die Andeutung von grausamen Bildern stärker, als wenn man es direkt zeigen würde. Ohne fixe Kamera geht ein wichtiges dramaturgisches Werkzeug verloren. Filmsprache ist schließlich mächtig. Sie hat sich über Jahrzehnte entwickelt und eine Gültigkeit über alle Kulturen hinweg. Schaut man sich insbesondere bildstarke Serien wie Hausen an, wird bewusst, welche dramaturgischen Chancen dem Survival Horror heute durch den Verzicht auf fest vorgegebene Perspektiven entgehen.

Information zu Hausen: Am 29. Oktober startet die neue Horror-Serie Hausen auf Sky. Zum Start der Serie könnt ihr aber bereits jetzt schon die erste Folge für kurze Zeit ansehen. Auf der Seite Hausen.TV gibt es Folge 1 bis Donnerstag kostenlos zu sehen.

Zum Start der Serie streamen wir außerdem die erste Folge Live zusammen mit den Schauspielern der Serie auf Twitch und Youtube. In der "Watch Party from Home powered by Sky" könnt ihr am 29. Oktober, ab 20 Uhr Regisseur Thomas Stuber und seinen Schauspieler dabei zuhören, was am Set von Hausen so alles passiert ist und erfahrt interessante Insider-Informationen von Hausen.

Hausen wird ab Donnerstag, 29. Oktober täglich in Doppelfolgen auf Sky Atlantic ausgestrahlt werden. Zudem können die Episoden über Sky Ticket, Sky Go und über Sky Q gestreamt werden.