Wie GamePro entstand: 'Herr Lott, dann fangen Sie mal an'

Gründungschefredakteur Gunnar Lott erzählt anlässlich unserer Jubiläumsfeierlichkeiten von den chaotischen ersten Monaten der GamePro.

Bei den ersten Entwürfen für das Magazin wurde auch mit unterschiedlichen Farben experimentiert. Bei den ersten Entwürfen für das Magazin wurde auch mit unterschiedlichen Farben experimentiert.

Wir sind im Jahr 2002, ich bin 40 Jahre alt. Also nicht in Lebensjahren, in Redakteursjahren: Ich arbeite seit vier Jahren bei GameStar, und wie jeder weiß, altert man in einem GameStar-Jahr um zehn echte. Mit dieser immensen Lebens- und Berufserfahrung vertraut mir der IDG-Verlag erstaunlicherweise eine ganze Abteilung an, ein "Objekt", wie man im Mediensprech sagt: die neu zu gründende Zeitschrift GamePro.

Wie es überhaupt dazu kommt, ist eine lange Geschichte: Verlage legen nicht ständig neue Hefte auf und geben sie nicht ständig in die Hände von relativ unerfahrenen Führungskräften, aber wir starten hier bei dem, was für mich der Startschuss ist: Der Verlagsleiter Stephan Scherzer sagt Mitte Juni 2002: "Herr Lott, Sie sind Chefredakteur, fangen Sie mal an. Die erste Ausgabe soll Ende August erscheinen." 

Gunnar Lott
@HerrKaliban

Als Gunnar 2002 die Chance bekam, eine Zeitschrift auf die Beine zu stellen, fackelte er nicht lange. GamePro war geboren. Nach zwei Jahren als Chefredakteur zog es ihn allerdings zurück zur GameStar. Heute betreibt er seine eigene PR-Agentur und den beliebten Podcast Stay Forever.

Da steh ich nun

Natürlich ist es mehr als super, die Chance zu bekommen, sich ein komplettes Heft auszudenken, eine Redaktion einzustellen und eine Medienmarke aus dem Nichts zu erschaffen. Sicherlich der Höhepunkt meiner Verlagskarriere. Aber zehn Wochen? Magazine erscheinen monatlich, man braucht auch vier Wochen, um den Inhalt zu erstellen.

Das lässt mir sechs Wochen, um das Team auf die Sollstärke von zehn Leuten zu bringen, ein Konzept und ein Layout zu entwickeln und das Heft überhaupt bekannt zu machen. Das ist natürlich ein Himmelfahrtskommando, aber mein dringender Wunsch nach mehr Vorlaufzeit wird abgeschlagen: Der Verlag will mit der Oktoberausgabe auf den Markt, und in der Parallelzeit der Spielezeitschriften erscheint das Heft 10/2002 nun mal Ende August.

Die Gründerväter: Gunnar und André stellten sich nicht nur beim Ballern auf Polygone als dynamisches Duo heraus. Die Gründerväter: Gunnar und André stellten sich nicht nur beim Ballern auf Polygone als dynamisches Duo heraus.

Also los! Go, go, go!

Ich beginne an zwei Fronten: dem Layout einerseits und dem Personal andererseits. Fangen wir mit der Optik an: Beim Grafikbüro H2 in München gebe ich das grundlegende Heftlayout in Auftrag. H2 arbeitet schon ewig für GameStar, ich kenne die Leute, das ermöglicht einen schnellen Start. Ich habe keine superklaren Vorstellungen, ich habe noch nie auf dem Niveau gearbeitet, aber ich bin auch nicht so eitel, alles allein entscheiden zu wollen.

Die Kollegen von H2 entwickeln nach meinen Vorgaben schnell ein klares, modernes Grundgerüst für das Heft. Zentral ist die Idee, das Multiformatkonzept in den Vordergrund zu stellen, mit Leitfarben und farbigen Icons für die drei Konsolen PS2, Xbox, GameCube.

Anfang 2003 bekam die Redaktion ein ganzes Verkaufsdisplay von Chupa Chups zugeschickt. Gunnar versuchte damals mit dem Rauchen aufzuhören, was zu einer anderen Sucht führte – und diesem Comic im Heft. Anfang 2003 bekam die Redaktion ein ganzes Verkaufsdisplay von Chupa Chups zugeschickt. Gunnar versuchte damals mit dem Rauchen aufzuhören, was zu einer anderen Sucht führte – und diesem Comic im Heft.

Das macht das Heft sehr viel bunter als die GameStar, ohne aber kindisch zu wirken. Die konservative Serifenschriften, die bei IDG überall vorherrschen, weichen einer frischeren Sans und die obligatorischen Redakteursfotos werden zu Comic-Figuren. Die Comic-Avatare will ich bei den amerikanischen Webcomic-Helden von Penny Arcade zeichnen lassen, die nehmen den Auftrag auch an und liefern ein paar Arbeitsproben, sagen aber vor Fertigstellung wieder ab. So kommt dann ein anderer Künstler zum Zug, aber die Comic-Figuren zieren auch unsere Visitenkarten und definieren den Look des Heftes deutlich mit.

GamePro-Jubiläum
Dieser Artikel ist Teil unserer Jubiläumswoche anlässlich des 20. GamePro-Geburtstages. Mehr Artikel dazu findet ihr in unserer Übersicht.

Das Team kommt zusammen

Derweil läuft die Suche nach Personal. Geplant ist das Heft auf zehn Leute, im Einzelnen: zwei Chefredakteure, eine Team-Assistenz, zwei Layouter, vier Redakteure, ein DVD-Producer. Diese Personalausstattung ist im Vergleich zur GameStar nicht üppig, entspricht aber einem siebenstelligen Redaktionsbudget und kann mit den anderen Heften auf dem Markt gut mithalten.

Die zentrale Position ist der Stellvertretende Chefredakteur, im Zeitschriftenjargon liebevoll "Stellvi" genannt: Zum einen soll diese Position verhindern, dass das neue Objekt ins Schlingern gerät, wenn der eigentliche Chef mal abwesend ist, zum anderen übernehmen die Chefredakteure bei kleineren Redaktionen oft Positionen mit, die nicht besetzt werden können, etwa die das Text-Chefs (verantwortlich für Stil und Rechtschreibung) und die des Chefs vom Dienst (CvD, verantwortlich für die Blattplanung und die Produktion).

Die frischgebackene GamePro-Redaktion im Jahr 2002 – noch lachen sie, doch die erste Ausgabe sollte eine Kraftprobe werden. Die frischgebackene GamePro-Redaktion im Jahr 2002 – noch lachen sie, doch die erste Ausgabe sollte eine Kraftprobe werden.

Ich habe sensationelles Glück, dass André Horn, der mit mir um die Position des Gründungschefredakteurs konkurriert hat, die Sache sportlich nimmt und schon Anfang Juli als Stellvertreter einsteigt. André ist nicht nur versiert, clever und engagiert, er ergänzt mich auch sehr gut durch sein Fachwissen in Bereichen, bei denen ich nicht sofort auf Stand bin, etwa Videoproduktion oder Konsolen-Technik. Von da an agieren wir als Doppelspitze und führen das Heft gemeinsam. In schneller Folge kommen weitere Leute dazu: David für die DVD, Kristina als Assistentin, Kosta und Sabine für das Layout, Marco für die Redaktion, alles gute Leute, die teilweise lange an Bord bleiben.

Besser holprig als gar nicht

Ein Sonderfall ist Kai: ​​Ich war damals nicht sicher, ob ich ihn einstellen sollte – er hatte eigentlich keine richtige Vorerfahrung. Aber Kais Freund Patrick, damals Trainee bei GameStar, hat mir in die Hand geschworen, dass Kai genau der Richtige für das Projekt GamePro wäre. Er ging sogar so weit, mir anzubieten, ich dürfe ihn, Patrick, feuern, wenn Kai sich nicht als Glücksgriff herausstellen sollte. Das war dann nicht nötig, Kai entwickelte sich zu einem unwegdenkbaren Allzweckredakteur. Er ist bekanntlich bis heute bei GamePro und hat sie mitgeprägt.

Bei den restlichen Redakteuren läuft es ein bisschen holpriger, Henry und Stephanie sollen vom Konkurrenten Computec kommen, haben aber Kündigungsfristen, die eine Einstellung zum Heftstart unmöglich machen. Beide stoßen dann später zu uns. Ein Kandidat, den wir bei einem anderen Magazin abwerben wollen, fällt kurzfristig aus, nachdem wir uns eigentlich schon einig waren. Was ist passiert? Wir haben ihm den Arbeitsvertrag gemailt, er druckt ihn auf der Arbeit aus, lässt ihn dann aber im Drucker liegen, wo er von seinem Chef gefunden wird. Das kommt nicht so gut an, die Sache platzt. Die fehlenden Kollegen ersetzt Benedikt Plass, ein freier Mitarbeiter, der für die ersten Ausgaben immense Seitenzahlen stemmt und auch später dem Heft noch als Zuarbeiter erhalten bleibt.

Games Convention: Bei GamePro standen nicht nur die Redakteure im Rampenlicht, sondern auch Dave aus der Videoabteilung musste sich den Fragen der Fans stellen. Games Convention: Bei GamePro standen nicht nur die Redakteure im Rampenlicht, sondern auch Dave aus der Videoabteilung musste sich den Fragen der Fans stellen.

Das war natürlich nicht alles. Zwar schaffen wir es schnell, ein funktionales Layout zu haben, und die ersten Kollegen kommen schnell genug an Bord, um mit der Arbeit beginnen zu können, aber zum Launch eines Heftes gehört ja noch viel mehr: André und David entwerfen gemeinsam ein Konzept für die Video-DVD, die eine wichtige Rolle als Kaufanreiz für das Heft spielen soll. Wir bekommen Räumlichkeiten im IDG-Gebäude zugewiesen, direkt neben der GameStar, und richten uns ein. André entwickelt den Ehrgeiz, das bestmögliche System für die Aufnahme von Videos und Screenshots zu haben und lässt sich bei der Digital Foundry in England (heutzutage eher bekannt für YouTube-Videos) einen Mega-PC für diesen Zweck zusammenbauen. Kostenpunkt: 10.000 Euro.

Die GameStar-Online-Abteilung baut eine Webseite, das muss ja auch sein. Ach, dem Verlag fällt auf, dass ich das Titelbild gern clean haben will, mit starken Farben und wenig Text (siehe Foto) und zwingt mich zu einer halbgaren Marktforschung und einem länglichen Prozess, an dessen Ende das Heft mit einem ziemlich überfrachteten Cover herauskommt. Und mein Wunsch, das Logo rot zu machen, wird auch abgelehnt, die GameStar ist blauweiß, die GamePro soll dem folgen. Ja nun. War vielleicht besser so.

Nachtschicht ist angesagt

André und ich arbeiten rund um die Uhr, rauchen wie Schlote, trinken literweise Kaffee. Und mit vereinten Kräften und dem Einsatz der ganzen Redaktion schaffen wir den ehrgeizigen Termin … fast. Am Abgabetag der letzten Seiten muss die Druckerei bis nachts um drei Uhr warten, ehe wir fertig sind. Ein paar Tage später erscheint ein neues Magazin mit massenhaft Kinderkrankheiten und vielen kleinen Fehlern, aber auch mit Herz und Hirn und einem klaren eigenen Stil. Es ist wie bei einem neuen Videospiel – zwei Wochen mehr Zeit hätten es ermöglicht, ein viel besseres Heft zu machen, alle Bugs zu finden und ein paar Ideen zu optimieren, aber es ist wie es ist.

Ungewohnt schick in Schale geschmissen: Henry und Kai bei unserem Spiel-des-Jahres-Event. Ungewohnt schick in Schale geschmissen: Henry und Kai bei unserem Spiel-des-Jahres-Event.

War das Heft ein Erfolg? Ja und nein. Die erste Ausgabe verkauft ungefähr 66.000 Stück, das ist mehr als andere Multiformathefte, aber deutlich weniger als die großen Playstation-Magazine. Der Verlag hatte die Idee, auf Werbung zu verzichten (anfangs war eine Radio-Kampagne geplant) und stattdessen sehr viele Hefte an die Kioske zu liefern, in der Hoffnung, dass das Heft dort sehr präsent ist. O-Ton des Verlagsleiters: "Die Auflage ist unsere Werbung." Das hat sich als nur so mittelmäßige Idee herausgestellt, gut 140.000 unverkaufte Hefte der ersten Ausgabe müssen eingestampft werden. Die zweite und die dritte Ausgabe laufen besser, das Heft wird bekannter, die Flughöhe steigt auf 85.000 verkaufte Hefte.

Dann überstimmt uns die Verlagsleitung ein weiteres Mal: Mit der vierten Ausgabe wird der Preis von 2,99 Euro auf 4,99 Euro erhöht. Das ist ein krasser Sprung, der dem Heft das Momentum nimmt – die Auflage bricht wieder auf das Niveau der ersten Ausgabe ein und erreicht in der Folge trotz aller Anstrengungen nicht mehr die 85.000, die sie schon mal hatte.

Ein Angebot, das man nicht ablehnen kann

Aber nun, ich will nicht maulen, vielleicht hätte das alles noch besser laufen können, vielleicht auch nicht. Grundsätzlich war die GamePro sehr erfolgreich, spielte schneller die Kosten wieder ein als jedes andere Heft im Verlag und gab uns eine aufregende Spielwiese. Ich habe drei Hefte als Chefredakteur geführt und zwei davon gegründet. Ich habe Webseiten gelauncht, Sonderhefte eingeführt, Konferenzen veranstaltet.

Meine Karriere im Journalismus ist sicher eine besondere und ich bin mehr als dankbar für alles, was ich dabei tun und erleben durfte. Aber die Zeit bei GamePro hat einen besonderen Platz in meinem Herzen. Am Ende war sie nicht sehr lang, ich habe das Heft zweieinhalb Jahre geführt, dann bot man mir die Chefredaktion von GameStar an, das konnte ich nicht ablehnen. André wurde nach mir Chefredakteur von GamePro, seine Karriere führte ihn in der Folge noch die Verlagsleitung.  Und die GamePro entwickelte sich zu einer langlebigen Medienmarke, die ihre Anfangserfolge später noch deutlich übertroffen hat – nicht als Zeitschrift, aber als Webseite.

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