Als ich unsere Volontärin Linda vor zwei Jahren kennenlernte, stolperte ich über ein Wort, das sie immer und immer wieder in den Mund nahm: "Platinieren", also das vollständige Durchspielen und Freischalten aller Trophäen eines Spiels auf der PS4. Sowohl das Wort, als auch das Konzept dahinter war mir damals völlig fremd.
Wieso sollte ich meine Zeit und Energie darauf verwenden, ganz gezielt alle noch so skurrilen Aufgaben der Entwickler zu meistern, nur um dann "100% geschafft" und eine virtuelle Platin-Trophäe im Profil stehen zu haben? Davon wird ein Spiel ja nicht unbedingt besser und im Zweifel verderbe ich mir auch noch den Spaß, weil ich die vierhundertste Feder in Assassin's Creed nicht finden kann.
"Nein, Danke, das ist nicht meine Welt", dachte sich Vergangenheits-Dom, während Linda von ihrer damals noch ganz frischen Mittelerde: Mordors Schatten-Platinierung erzählte.
Der erste Kontakt
Zwei Jahre später, Februar 2017: Nachdem ich monatelang gespannt dem Release von For Honor entgegen fieberte und mit euch jede Beta-Phase und Neuigkeit diskutiert hatte, konnte ich endlich das Spiel in meine Konsole schieben. Ich bin ein riesiger Fan des "Wikinger gegen Ritter gegen Samurai"-Szenarios und auch spielmechanisch begeistert mich die Art und Weise, wie Ubisoft Nahkampf-Duelle in eine spannende Spielmechanik gegossen hat.
Obwohl der Multiplayer das Herzstück dieses Spiels ist, schaute ich mir zuerst die Einzelspieler-Kampagne an, um diesen Teil des Spiels bereits für mich abzuhaken - und war schon nach wenigen Minuten etwas ernüchtert: Schwach geschriebene Charaktere, lineares Missionsdesign, hin und wieder ein netter Spielmoment, aber insgesamt eine erste Enttäuschung.
Abbrechen wollte ich die Kampagne allerdings nicht. Zwar interessierte mich auch das Schicksal meiner Heldentruppe, aber vor allem hatte ich Gefallen an einem ganz besonderen Geräusch gefunden, das mir dank der spielerischen Monotonie zum ersten Mal so richtig aufgefallen war:
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Eine Bronze-Trophäe für die erste beendete Mission, eine weitere Trophäe für den Abschluss der Ritter-Kampagne, eine dritte Belohnung schließlich für Charakter-Level 10. Diese Trophäen schaltete ich quasi im Vorbeigehen frei. So entdeckte ich ganz nebenbei eine Freude, die mir For Honor selbst wegen seiner spielerischen Mängel in der Kampagne nicht bieten konnte: inflationär verteilte, virtuelle Auszeichnungen.
So weit, so harmlos. Doch erstmals stutzte ich, als ich mich bei dem Gedanken ertappte, die Kampagne direkt ein zweites Mal zu spielen. Immerhin gibt es dafür eine weitere Trophäe, dieses Mal sogar aus Silber, wie ich meiner frisch abgespeicherten Trophäen-Übersicht entnehmen konnte. Der Lockruf des Multiplayers allerdings hielt mich vor einem zweiten Durchlauf ab.
Zwischen Konditionierung und Wahnsinn
Zwei Monate später, Anfang April: Ich habe mittlerweile 84% aller Trophäen von For Honor freigeschaltet und den Multiplayer komplett abgegrast. Nun plane ich den zweiten Durchgang der Einzelspielerkampagne auf höherem Schwierigkeitsgrad, um nicht nur die Trophäe für den erfolgreichen Abschluss einzusacken, sondern direkt auch noch alle verbliebenen Collectibles einzusammeln. Lust, noch einmal sechs Stunden in die Story zu investieren, die mich bereits im ersten Anlauf gelangweilt hat, habe ich nicht. Aber ich will diese Trophäen. Es ist reiner Komplettierungszwang und der Spaß an der Vollständigkeit, nicht aber am Spiel selbst. Das habe ich mittlerweile begriffen.
Die Psychologie nennt dieses Verhalten "Konditionierung", ich hingegen würde eher "Wahnsinn" dazu sagen, während ich längst beendete Spiele entstaube und nachlese, wo ich welche Trophäen liegen gelassen habe. Dabei sehe ich durchaus die Vorteile, die ein solches Belohnungssystem zumindest theoretisch mit sich bringt: So können Trophäen dazu motivieren, unseren Spielstil zu ändern, die eigene spielmechanischen Komfortzone zu verlassen oder völlig entlegene Orte in der Spielwelt aufzusuchen. Damit lernen wir Spiele vielleicht sogar noch besser kennen, als es uns ohne den zusätzlichen Anreiz jemals möglich gewesen wäre.
Mein Verhältnis zu den Trophäen nimmt hingegen mittlerweile Züge ein, die mein Spielverhalten spürbar beeinflussen - und einschränken: Als ich erst vor einigen Tagen Blackwood Crossing, das die herzzerreißende Geschichte eines Geschwisterpaares erzählt, in die Konsole schob, googelte ich parallel bereits nach der entsprechenden Trophäen-Liste. Und das war der Moment, in dem ich merkte, dass hier irgendetwas nicht mehr in Ordnung war.
Statt mir einen zusätzlichen Anreiz zu bieten, jeden Winkel dieses Spiels zu erkunden, bestimmte mein Komplettierungs- und Sammelwahn alles andere. Und deswegen habe ich jetzt einen Schlussstrich gezogen: Im PS4-Menü habe ich sämtliche Trophäen-Benachrichtungen stummgeschaltet, sodass ich nicht mehr mitbekomme, wann ich welche Belohnung erhalten habe.
Passend zu Ostern läute ich damit nun eine ganz persönliche Fastenzeit ein, die mich vom Platinrausch endlich wieder heilen soll. Die einzige Belohnung, die ich mir davon erhoffe, ist den einfachen Spaß am Spiel wieder ganz neu für mich zu entdecken.
Erkennt ihr euch in meiner Geschichte wieder? Wie sieht euer Verhältnis zu Trophäen und Achievements aus?
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vom 16.04.2017, 16:42 Uhr
Horizon: Zero Dawn wird mein erstes Spiel was ich Platinieren werde. Und wahrscheinlich auch das letzte.
vom 16.04.2017, 16:38 Uhr
Ich bin trotz jahrelangen Zockens kein Trophyhunter geworden.
Ich spiele die Spiele immer noch wegen des Spielens an sich und um damit Spass zu haben und wenn ich von einem Spiel genug habe dann war es das auch.
Ja, ein paar Platin habe ich auch auf der PS4 gesammelt aber das sind eher so Titel wo man das quasi nebenher machen kann, Tales from the Borderlands, Life is Strange, Final Fantasy 15 und Resident Evil 5 waren in der hinsicht eher leicht und fast im vorbeigehen zu bekommen.
In ein Spiel zusätzlich um die 100 Stunden zu investieren um nur noch näppische Nebenaufgaben (200 Flaggen sammeln, mehrmals 2500 unterschiedliche tötungsarten usw) brauch icht nicht um ein befriedigendes Gefühl in einem Spiel zu erlangen.
vom 16.04.2017, 15:44 Uhr
Zu diesem Thema behaupte ich, dass "Bloodborne" erst dann wirklich durchgespielt ist, wenn man es platiniert hat! ^^
vom 16.04.2017, 15:28 Uhr
Trozdem ist es auch etwas, worauf man stolz zurückblicken kann und was über den eigenen Tod hinaus bestehen bleibt als Videospiel Grabstein, dass man als Videospieler mal gelebt hat.
Unabhängig vom eigenen Status kann man seinen Account auch am Sterbebett vererben: Mein Sohn, hier ist mein Username und Passwort für mein PSN Account mit über 100 Platin Trophäen. Bitte führe diesen Account unter dem Familiennamen fort! Ich konnte dir unter Harts 4 Bedingungen kein leichtes Leben ermöglichen und mein PSN Account neben einer zur Privat Insolvenz ermutigen Schuldensumme ist alles, was ich dir vererben kann, aber gerade die Platin Sammlung ist etwas, was dich zu den höheren Zehntausend der Gesellschaft hieven wird und wo selbst die mächtigsten Politiker und berühmtesten Schauspieler sowie reichsten Menschen der Welt niederknien und sich verneigen werden.
Selbst der reichste Mensch der Welt ist letztendlich ein Niemand und die ärmste Person der Welt ohne genügend Platin Trophäen!
Einfach mal ein ''ernstzunehmender'' Einwand, welche gesellschaftliche und familiäre Bedeutung Platin Trophäen irgendwann noch einnehmen werden ;-)
vom 16.04.2017, 14:56 Uhr
Das System der Trophies und Achievments ist meiner Meinung nach noch viel zu unausgereift, um mich völlig in seinen Bann ziehen zu können, was eigentlich schade ist.
Viel zu oft hat man in Spielen nämlich Trophäen, für die man Dinge tun muss, die man aus verschiedenen Gründen absolut nicht tun möchte. Das hat oft nichts mehr mit der im Artikel erwähnten Komfortzone zu tun, sondern artet eher in mühselige Arbeit aus.
Beispielsweise alle Multiplayer Errungenschaften in Singleplayer Spielen, die auch einen Multiplayer Part haben. Dazu müsste ich mich in den Multiplayer begeben und das will ich einfach nicht.
Genauso lästig ist die Berechnung der Prozente für Trophys, in die alle verfügbaren DLC mit einberechnet werden, egal ob man sie hat oder nicht. Das ist genauso frustrierend, weil man manche DLC einfach nicht haben will, beispielsweise wenn sie die Geschichte aus der Sicht einer anderen Spielfigur zeigen und somit nichts mehr zur Macht der Hauptfigur beitragen oder weil es für mich völlig sinnlose Multiplayer Maps sind.
Dazu kommen dann noch die Syssiphus Achievments, wo man endlos und Tagelang beschäftigt wäre, um diese zu erfüllen, etwa die Suche nach dem letzten Exemplar von hunderten von Objekten, ohne das man im Spiel irgend einen Hinweis finden kann, wo genau einem noch etwas fehlt.
Oft sind es dann aber einzelne Dinge, die einer Komplettierung final im Wege stehen und daher suche ich mir vor dem Sammeln der Trophäen schon mal die Achievments raus, die ich keineswegs machen werde und wenn ich davon welche gefunden habe, ist die Sammlerei für dieses Spiel dann eben erledigt.
Dabei könnte man es auch besser lösen. Beispielsweise indem man für online Errungenschaften zusätzlich eine akzeptable offline Möglichkeit schafft, diese ebenfalls zu erreichen.
Dem Zwang, jedes Spiel Platinieren zu wollen, kann man eigentlich mit genug innerem Schweinehund gut begegnen, vor allem wenn man wie ich eine Abneigung gegen Multiplayer hat. Das hat nämlich nichts mehr mit "Komfortzone verlassen" zu tun, etwas zu spielen das man einfach nicht mag artet eher in Arbeit aus. Nur das man dafür nichts bekommt sondern sogar noch Geld ausgeben muss.
vom 16.04.2017, 14:43 Uhr
Die Frage nach dem Warum einer Platinjagd lässt sich mit gesundem Verstand teils allein nicht beantworten.
Nur ein Beispiel: die Platin bei ARK ist nicht mal eben so zu erreichen. Also erstellen manche Leute ihr eigenes Spiel, nur um dann mit Hilfe der Admin Befehle die einzelnen Trophäen bis hin zur Platin zu erlangen.
Und wie an anderer Stelle schonmal gesagt: ich bin davon überzeugt, dass es sehr viele Leute gibt ,welche für die Platin Trophäe Geld bezahlen würden! Ganz nach dem Motto = "Jetzt im Angebot!", "Erhalten Sie alle Trophäen für Horizon Zero Dawn für nur 5,99€!".
Das ist eine Goldgrube.
vom 16.04.2017, 14:30 Uhr
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vom 16.04.2017, 14:24 Uhr
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vom 16.04.2017, 13:34 Uhr
Anfangs fand ich Trophäen und Achievements toll,weil man sogar ein bisschen stolz war,wenn man was erreicht hat.
Allerdings habe ich festgestellt,das mich die Jagd zu oft aus der Spielatmosphäre rausreißt ,so das ich es fast störend finde.
Zum Beispiel bei Uncharted...Ich soll meinem Begleiter folgen,stattdessen laufe ich zurück und schaue nach oben,unten zur Seite,ob irgendwo ein Artefakt blinkt.
Mittlerweile versuche ich wieder in ein Spiel richtig abzutauchen und das zu fühlen und zu erleben,was das Spiel mir vermitteln will
vom 16.04.2017, 13:29 Uhr
Erstmal ist natürlich richtig, dass es bei diesem Angebot keinen Grund zur Beschwerde gibt -- ist alles optional und schränkt Leute, die es ignorieren, in keiner Form ein.
Bei mir ist es so, dass ich Platin durchaus "mitnehme", wenn ich ein Spiel ohnehin sehr viel spiele. Bei bisher 800 Stunden The Division gehört Platin einfach dazu.
Im negativen Sinne entscheidend finde ich, dass Platin einfach nicht gleich Platin ist, man die Trophäen überhaupt nicht vergleichen kann. Wie ich hier lese spuckt ein Telltale Game unheimlich schnell Platin aus. Versucht das mal bei NHL 17. Da muss man jeden Modus intensiv zocken. Oder alles auf sehr leichten Schwierigkeitsgraden, um zum Beispiel als Rookie in Be a Pro mal eben 50 Saisontore zu schießen. Wenn also jemand schon 100 Platin Trophäen gesammelt hat, sagt mir das erstmal überhaupt nichts. Da kann einer mit 'nem Dutzend schwieriger Trophäen der viel engagiertere Spieler sein.
Ziemlich blöd finde ich dann noch Spiele, die mir beim normalen Durchzocken nur ganz wenige Trophäen gewähren. Habe The Last of Us ganz normal gespielt und hatte am Ende 9% der Trophäen. Das zieht mich mal überhaupt nicht Richtung Platin.
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