“Wir müssen reden!” – Das stand für mich fest, nachdem ich beide möglichen Enden von Clair Obscur: Expedition 33 gesehen hatte und während der Credits völlig überwältigt auf der Couch saß.
Als ich wieder im Hauptmenü landete, war ich noch lange nicht fertig damit, über die Story nachzudenken. Und je länger ich grübele, desto stärker wird mir bewusst, wie clever die einzelnen Handlungselemente ineinandergreifen und wie wirkungsvoll sie die letzte große Entscheidung machen.
Spoilerwarnung: In diesem Artikel gehen wir auf das Ende und den Epilog im dritten Akt von Clair Obscur ein.
Contentwarnung: Dieser Artikel beschäftigt sich mit Verlust und Trauer.
Eine Entscheidung, die weh tut
Die Geschichte hat mich von Anfang an in ihren Bann gezogen: Während der filmreifen Zwischensequenzen habe ich viel gelacht, nachgedacht und mitgefühlt.
In aller Kürze: Darum geht’s in der Story
Eine mächtige Göttin malt jedes Jahr eine Zahl auf einen riesigen Monolithen und alle Einwohner*innen der Inselstadt Lumiere, die dieses Alter haben, lösen sich auf. Schon viele extra dafür ausgebildete Expeditionstrupps haben versucht, sie zu finden und zu stoppen und haben dabei den Tod gefunden. Jetzt ist Expedition 33 an der Reihe.
Im Verlauf der Story stellte sich heraus, dass die ganze Heldenreise nur auf einer Leinwand stattfindet und alle Figuren gemalt sind. Sie sind der Fantasie des verunglückten Künstlers Verso entsprungen. Seine Mutter sucht in seinem Gemälde Zuflucht, während der Vater, Renoir, sie in die reale Welt zurückholen will.
Versos Schwester Alicia unterstützt eigentlich den Vater, klammert sich dann aber als Maelle auch an die gemalte, unsterbliche Version Versos. Das ist allerdings nur eine stark vereinfachte Zusammenfassung.
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Clair Obscur: Expedition 33: Der Storytrailer erklärt die Hintergrundstory des RPG-Hoffnungsträgers
Unvergesslich wurde die Geschichte für mich allerdings erst ganz am Ende, als ich eine Entscheidung treffen musste, bei der ich es erst im zweiten Anlauf über mich gebracht habe, die “offensichtlich richtige” Wahl zu treffen.
Ich musste wählen, ob ich als Maelle dafür kämpfe, mit Verso gegen seinen Willen in der Leinwand zu bleiben und alle dort zu retten – dabei aber die reale Familie und Maelles echtes Leben für immer zurücklasse – oder ob ich als gemalter Verso endgültig Abschied nehme, die Leinwand zerstöre und seine Familie wieder in der echten Welt vereine.
Mir leuchtete sofort ein, dass es richtig sein muss, sich nicht länger in einer Fantasiewelt zu verkriechen, sondern in die Realität zurückzukehren. Trotzdem habe ich diese Option beim ersten Mal nicht gewählt, weil sie sich wie Verrat anfühlte. Für mein Team selbst, Lune, Sciel, Monoco und Esquie, ist die Leinwandwelt real, genau wie ihre Gefühle. Und das vermitteln sie mir ziemlich deutlich.
Clair Obscur hat damit wichtige Aspekte von Verlust und Trauer perfekt veranschaulicht und greifbar gemacht: die Angst davor, zu vergessen und die Schuldgefühle, wenn man einfach weitermacht (in dem Fall ohne mein Team) – sowie den Eindruck, eine ganze Welt zu verlieren.
Wheeee und whoooo: genau wie Esquie
Durch diesen Kniff konnte ich mit Maelle mitfühlen, aber ohne die düstere Schwere, die sehr realitätsnahe Geschichten über Trauer in der Regel mitbringen. Diese sind mir persönlich oft zu erdrückend, weshalb ich dann auch mal komplett abschalte.
Daher fasziniert mich umso mehr, wie stimmig Clair Obscur diese ganz menschlichen und “alltäglichen” Empfindungen in einer philosophischen und magischen Geschichte verpackt, in der Humor nie zu kurz kommt.
Um diese fantastische Welt mit der Story über Trauer zu verknüpfen, wählt das Spiel einen Plottwist, den ich eigentlich nicht mehr sehen kann. Aber die“Alles ist gar nicht echt”-Wendung ist für mich in dieser Geschichte richtig stark, weil das übergreifende Motiv alles verbindet.
Entpuppt sich eine Handlungsebene einer Story als unecht, besteht immer die Gefahr, dass alle Figuren und ihre Missionen jegliche Bedeutung verlieren. Bei Clair Obscur ist meiner Meinung nach das Gegenteil der Fall.
Verlust ist auch das zentrale Thema im Leben der Bevölkerung Lumieres, aber nicht nur das: Die Expeditionen versuchen mit aller Kraft gegen ihr Schicksal anzukämpfen, beziehungsweise die Malerin zu finden und aus ihren Machenschaften schlau zu werden. Ein weiteres Motiv der Trauer: spirituelle oder religiöse Sinnsuche.
Die Vergänglichkeit, der sich die Expeditionsmitglieder bereits beim Aufwachsen bewusst sind und das, was sie auf ihren vergeblichen Abenteuern erleben, ist wie ein Spiegel für die Gefühlsreise der Malerfamilie und das trifft auch auf das Ende zu.
Es musste weh tun
Entscheide ich mich, die Leinwand zu zerstören, liegt besonders in Lunes Blick die geballte Resignation, die Erkenntnis, dass alle Kämpfe umsonst waren.
Rette ich dagegen Lumiere, wirkt erst mal alles harmonisch. Doch dann sehe ich: Der gemalte Verso verspürt in diesem Leben als Abbild seines echten Pendants nur Leid. Ich weiß außerdem, dass ich die reale Familie für immer entzweie und die Leinwandwelt trotzdem nur eine begrenzte “Haltbarkeit” hat, weil sie mit Maelle zerfällt, die eigentlich nicht für ein Leben dort geschaffen ist.
Es gibt (erst mal) kein gutes Ende, aber als ich darüber nachgedacht habe, wurde mir klar, dass es nicht anders sein dürfte. Denn: Der erste Weg ist der bequemere, aber auch der, der auf die Dauer nie funktionieren kann.
Loszulassen ist dagegen zwar die einzige Chance, wieder ins Leben zu finden, aber ein verdammt schmerzhafter Prozess. Und genau das lässt mich Clair Obscur spüren. Am Ende fühle ich mich selbst “wheee” und “whoo” und das Spiel hat mit seinen Schichten und Schattierungen einen festen Platz in meinem Herzen erobert.
Mir bleiben damit nur noch folgende Worte: Adieu, adieu! Aber was ist eure Meinung zum Thema?
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