Kojimas Reaktion auf Kritik an Death Stranding ist arrogant

Den harscheren Death Stranding-Kritiken aus den USA entgegnet Kojima, dass es dort einfach an künstlerischer Sensibilität mangelt. Eine fragwürdige Aussage, findet Hannes.

Death Stranding spaltet seine Kritiker. Death Stranding spaltet seine Kritiker.

Dass Hideo Kojima eine exzentrische Persönlichkeit ist, muss wohl kaum noch gesagt werden. Seine Spiele sind oft schräg, voll mit überlangen Zwischensequenzen und brechen gern mit klassischen Erzählstrukturen. Ob einem das nun gefällt oder nicht, das ist reine Geschmackssache. Aber nicht, wenn es nach Kojima geht. Der schätzt negative Reaktionen auf Death Stranding komplett anders ein.

Im Gespräch mit der italienischen Website Tgcom24 äußerte sich Kojima nämlich zu den Reaktionen auf sein neuestes Spiel und wunderte sich dabei vor allem über die Kritik aus den USA:

"Ich muss sagen, dass das Spiel glänzende Reviews bekommen hat, vor allem in Europa und Japan. In den Vereinigten Staaten gab es allerdings größere Kritik. Vielleicht ist es ein Spiel, das für bestimmte Kritiker und ein bestimmtes Publikum schwer zu verstehen ist. Amerikaner sind große Fans von First-Person-Shooter und Death Stranding ist das nicht.

Ich versuche immer, neue Dinge zu schaffen und Streitigkeiten und Diskussionen sind in Ordnung, aber es muss gesagt werden, dass Italiener oder Franzosen eine andere Sensibilität für Kunst besitzen, die es ihnen erlaubt, dieses sehr originelle Produkt zu genießen - nicht nur bei Videospielen, sondern auch im Kino."

Ist das Kunst oder kann das weg?

Ich mag Death Stranding sehr und warum das so ist, könnt ihr gern in meinem Test nachlesen. Es kann sicher darüber diskutiert werden, wie wertvoll oder erfolgreich die künstlerischen Ausdrucksformen sind, die Kojima im Spiel anstrebt. Aber zu sagen, dass die Kritik aus den USA in erster Linie darauf basiert, dass alle, die sich negativ über Death Stranding äußern, nicht das nötige Gespür für Kunst haben, ist schlicht arrogant.

Der Unsinn dieser Aussage fängt schon damit an, dass First-Person-Shooter nicht nur in den USA beliebt sind, sondern eben auch bei uns. Die Call of Duty-Reihe gehört in Europa - neben der FIFA-Marke - regelmäßig zu den erfolgreichsten Spielen des Jahres. Zudem zeigen brachiale Action-Reißer wie Wolfenstein 2: The New Colossus, BioShock Infinite oder Spec Ops: The Line, dass sich Shooter und künstlerische Ansätze nicht grundsätzlich ausschließen.

BioShock Infinite erfüllt alle Kriterien eines First-Person-Shooters und trifft trotzdem komplexe Aussagen. BioShock Infinite erfüllt alle Kriterien eines First-Person-Shooters und trifft trotzdem komplexe Aussagen.

Und überhaupt: Videospiele sind immer Kunst. Ganz egal, ob gut, schlecht, aufregend, langweilig, einfallslos oder innovativ. Künstlerischen Anspruch hat Kojima nicht allein gepachtet.

Hier lohnt es sich darauf hinzuweisen, dass Death Stranding sich trotz aller Andersartigkeit sehr wohl auf viele konventionelle Gameplay-Ideen verlässt. Es gibt Shotguns, Sturmgewehre, Granaten und sogar einen vierfachen Raketenwerfer, mit dem wir auf riesige Monster ballern. Sich einerseits über Shooter erheben zu wollen, aber gleichzeitig diese Mechaniken zu bedienen, ist inkonsequent.

Der wichtigste Punkt ist aber wohl die Tatsache, dass das entschleunigte Gameplay von Death Stranding nicht so neu ist, wie es Kojima wohl gern hätte. Das Worldbuilding mag einzigartig sein, aber schon Red Dead Redemption 2 hat im AAA-Bereich auf viele ruhige, in den Augen mancher Spielerrechtlangatmige Momente gesetzt. Wir hatten in der GamePro-Redaktion sogar eine Diskussion dazu, wie sehr der "Realismus" des Open World-Westerns auch als langweilig empfunden werden kann.

Der Punkt ist aber: Red Dead Redemption 2 bekam herausragende Kritiken und das auch weltweit.

"Ihr habt es einfach nicht verstanden"

Die USA so sehr in die Shooter-Ecke stecken zu wollen, ist unpassend. Schon lange vor Death Stranding wurde darüber diskutiert, was Spiele eigentlich auszeichnet und wie viel "Gameplay" sie brauchen, um als Spiel angesehen zu werden. Death Stranding ist schließlich nicht der erste Walking Simulator und damit auch nicht das erste Spiel, das mit entsprechender Kritik zu kämpfen hat.

Spiele wie Gone Home mussten sich oft den Vorwurf gefallen lassen, langweilig zu sein, weil auf konventionelle Mechaniken verzichtet wurde. Spiele wie Gone Home mussten sich oft den Vorwurf gefallen lassen, langweilig zu sein, weil auf konventionelle Mechaniken verzichtet wurde.

Hier sind es aber eben vor allem Entwickler aus den USA, die erfolgreiche Indie-Titel wie Gone Home, Firewatch oder auch What Remains of Edith Finch auf den Weg geschickt und dieses Genre in erster Linie überhaupt erst begründet haben. Alles Spiele, die gerade aufgrund ihrer künstlerischen und ruhigen Inszenierung und dem Fokus auf ihre Geschichte bei (US-)Kritikern gut ankamen. Mit seiner Aussage schießt Kojima also nicht nur gegen seine Kritiker sondern auch gegen die Entwickler, die ihm erst den Weg bereitet haben.

Wenn es um gerechtfertigte Kritik geht - egal ob aus dem professionellen Umfeld oder von Fans - ist es zudem nie eine gute Idee, sich als missverstandenes Genie zu inszenieren. Mit seiner Überheblichkeit versucht Kojima hier meiner Meinung nach einfach nur, Death Stranding unangreifbar zu machen. Im Sinne von: Wenn du es nicht magst, dann hast du es wahrscheinlich einfach nur nicht verstanden.

Die Wahrheit ist hier aber wohl eher, dass es eigentlich Kojima ist, der seine Kritiker nicht verstanden hat - oder sie nicht verstehen will.

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