Metal Gear Solid: Hilfe, ich liebe einen Kriegsverbrecher

Wer ist der beste Videospielprotagonist? Für unseren Autor Erik Körner gibt es keine einfachere Frage: Selbstverständlich Big Boss aus der Metal Gear Solid-Reihe.

Big Boss hat eine Geschichte, die tragisch und zugleich faszinierend sein kann. Big Boss hat eine Geschichte, die tragisch und zugleich faszinierend sein kann.

Naked Snake hat viele Namen. Besser bekannt ist er als Big Boss oder als bester Soldat aller Zeiten. Die meisten würden ihn aber sicherlich als Ungeheuer bezeichnen. Denn als Gründer eines unabhängigen Militärstaats verfolgt er nur ein Ziel: permanenter Krieg, weltweit. Laut Big Boss könne nur das Ländergrenzen überwinden und einreißen und ruhelosen Soldat*innen wie ihm eine Heimat bieten. Doch obwohl er ein Ungeheuer ist, ist er mein liebster Videospielprotagonist.

Achtung! Dieser Text spoilert Metal Gear Solid 3: Snake Eater und das Ende von Metal Gear Solid 4: Guns of the Patriots. Wenn ihr sie noch spielen möchtet, solltet ihr ihn später lesen.

Der Anfang einer Tragödie

Ich schätze Big Boss natürlich nicht für seinen Kriegsfetisch, sondern wegen seiner tragischen Geschichte. Ich halte sie für ein Vorzeigebeispiel videospielgewordener Dramen.

Wie ihr wahrscheinlich wisst: Die Storys von Metal Gear-Spielen sind komplex. Deswegen folgt jetzt nur eine Kurzfassung. In Metal Gear Solid 3: Snake Eater beauftragt die US-Regierung Naked Snake, seine ehemalige Mentorin, The Boss, im Rahmen einer Geheimmission zu töten. Ihr wird Landesverrat vorgeworfen, weil sie zur Sowjetunion übergelaufen sei.

Umringt von weißen Lilien muss Naked Snake seine ehemalige Mentorin bezwingen. Umringt von weißen Lilien muss Naked Snake seine ehemalige Mentorin bezwingen.

Die Mission gelingt. Snake gewinnt das Duell gegen The Boss und erschießt seine Mentorin widerwillig. Bei seiner Rückkehr wird er als Held gefeiert und erhält den Titel "Big Boss".

Der beste Soldat aller Zeiten, aber zu welchem Preis?

Dieses gewaltsame Ende einer innigen Beziehung ist tragisch. Es ist aber nicht der Hauptgrund, warum ich Big Boss als einen perfekten tragischen Charakter bezeichne. Den liefert Snake Eater nämlich erst nach dem Tod von The Boss: Sie war keine Verräterin.

Erik Körner
@snoopykoira
Egal, was noch passiert, wahrscheinlich wird die Metal Gear Solid-Reihe für immer meine liebste Franchise sein. Im Gegensatz zu vielen anderen Spieler*innen beeindrucken mich die Spiele um Solid Snake aber nicht so sehr wie die um seinen Vater. Ich habe einfach eine Schwachstelle für Figuren, die gleichzeitig grausam und tragisch sind.

Die US-Regierung hat The Boss als Sündenbock erkoren, um einen fehlgeschlagenen Plan zu vertuschen, der wahrscheinlich zu einem Atomkrieg mit der Sowjetunion geführt hätte. Als Big Boss das herausfindet, fühlt er sich verraten. Er wurde ausgenutzt und zum Bestatter der einzigen Person gemacht, die er jemals wirklich liebte. So beginnt seine Spirale in den Abgrund.

Die Geburt eines Monsters

Er verbringt den Rest seines Lebens damit, die Vision von The Boss umzusetzen, eine Welt befreit von Grenzen. Doch während seine Mentorin damit an einen friedlicheren Planeten dachte, entwickelt ihr Schüler eine andere Interpretation.

Und das hat es damit auf sich: Big Boss ist ein geborener Soldat. Ohne Schlachtfelder fühlt er sich heimatlos. Kriege sind aber an Länder und ihre Regierungen gebunden, denen er nach seinem Verrat nicht länger traut.

Der Verrat hat Big Boss gebrochen. Der Verrat hat Big Boss gebrochen.

Deshalb gründet er ein unabhängiges Militär, später bekannt als"Outer Heaven", das seine Feuerkraft an diejenigen verkauft, die sie benötigen. Ziel soll sein, die Welt in einem konstanten Kriegszustand zu halten. Dadurch sollen Soldat*innen wie er immer ein Zuhause finden, ohne aber an Ländergrenzen und Politiker*innen gebunden zu sein.

Wie verwerflich dieser Plan war, erkennt er zu spät. Denn Reue zeigt er erst kurz vor seinem Tod in Metal Gear Solid 4: Guns of the Patriots, das tragischerweise am Ende der Timeline von Metal Gear steht.

Ich liebe nicht den Menschen, sondern seine Geschichte

Big Boss ist also ein Opfer seiner Umstände. Sympathie kann ich trotzdem nicht für ihn aufbringen. Klar, in den letzten Stunden von Snake Eater habe ich gemeinsam mit ihm gelitten und getrauert. Bis heute kann ich mir das Ende des Spiels nicht ohne zitternde Unterlippe ansehen. Der bittere Verrat kann aber unmöglich seine Entwicklung zum Kriegstreiber und Kriegsverbrecher entschuldigen.

Erst kurz vor seinem Tod, in den Armen seines Sohns Solid Snake, erkennt Big Boss seine Fehler. Erst kurz vor seinem Tod, in den Armen seines Sohns Solid Snake, erkennt Big Boss seine Fehler.

Wie ich aber schon erwähnt habe: Ich schätze ihn nicht als (virtuellen) Menschen, sondern schätze sein Writing. Es zeigt perfekt, wie aus einem gebrochenen Mann ein Monster wird. Kein unrettbares Monster, aber dennoch ein Monster.

Dieser Artikel ist Teil unserer Held*innen-Themenwoche, die noch bis zum 8. August 2021 läuft und euch täglich spannende neue Artikel rund um das Thema Videospiel-Charaktere präsentiert. Alle Artikel unserer Held*innen-Themenwoche findet ihr hier in der Übersicht.

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