Seite 3: Dishonored 2 im Test - So gut war Stealth seit Jahren nicht

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So geht Leveldesign

Die Runen dienen übrigens wie im Vorgänger als Fähigkeitserweiterung. Emily und Corvo unterscheiden sich in ihrem Arsenal - der raue Veteran behält im Wesentlichen die Skills aus dem ersten Teil (Rattenschwärme kontrollieren, Teleport, Windstoß), Emily kann hingegen hypnotisieren, Doppelgänger erstellen oder Gegner telepathisch aneinander ketten. Wenn wir dann einen Feind ausschalten, ereilt alle anderen dasselbe Schicksal. Keine Fähigkeit ist übermächtig, trotzdem sind alle extrem hilfreich. Knochenartefakte sorgen ergänzend für Perks wie größeres Lungenvolumen oder höhere Granatenresistenz - im neuen Crafting-Menü können wir die Dinger aber auch zerlegen und zu neuen Kreationen zusammenstecken. Ein nettes System für Tüftler, allerdings an keiner Stelle überlebenswichtig.

Dishonored 2 - Live-Action-Trailer mit den deutschen Sprechern Video starten 1:56 Dishonored 2 - Live-Action-Trailer mit den deutschen Sprechern

Wer sich für den lauten Weg entscheidet, profitiert natürlich deutlich stärker vom Waffenarsenal und den kampffokussierten Skills. Gerade auf niedrigeren Schwierigkeitsgraden können wir Emily und Corvo zu echten Naturgewalten ausbilden. Dann schleudert die junge Kaiserin einen Feind mit magischem Griff quer durch den Raum, stürzt sich als Schattenmonster auf eine Gegnergruppe, zerreißt Feinde in Stücke oder tritt sie aus dem Fenster. Schade nur, dass es kein New Game Plus gibt. Obwohl das Spiel uns die Kampagne als »Ersten Durchlauf« im Menü markiert, haben wir keinen Weg gefunden, die gewonnen Fähigkeiten in einen zweiten zu importieren. Ärgerlich, denn das Experimentieren mit den Skills macht enorm viel Spaß. Das liegt auch und vor allem am meisterhaften Leveldesign.

Jedes der neun Level ist einzigartig und punktet mit einem ganz speziellen Thema. Im Maschinenhaus lässt sich zum Beispiel das Layout der Räume mechanisch verändern, dann klappen ganze Wände zur Seite, Säulen fahren in den Boden, Türen werden plötzlich unpassierbar. Und überall patrouillieren Wachroboter, die nach vorne und hinten gleichzeitig sehen können. In einem anderen Areal müssen wir hingegen mit Hexen klarkommen, die sich überall verstecken - auch auf Kronleuchtern über uns. Unser absoluter Favorit ist aber ein Herrenhaus im späteren Spielverlauf, das wir hier nicht spoilern wollen. Nur so viel: Wie dort mit Zeit als Spielelement umgegangen wird, demonstriert Leveldesign auf Meisterklasse-Niveau. Und sollte künftig Schule machen für alle angehenden Schauplatzbastler. Unglaublich gut.

Die Story von Dishonored 2

Die vorbildliche Entscheidungsfreiheit von Dishonored 2 hat aber auch einen entscheidenden Nachteil: Sie wirkt sich negativ auf die Story aus. Generell macht die Geschichte von Emily und Corvo nämlich zu wenig aus dem Potenzial, das diese großartige, lebendige Welt eigentlich bereitstellt.

Emily Kaldwin ist eine junge Kaiserin, die das Leben stets nur aus ihrem Elfenbeinturm sehen konnte, viele Probleme der Menschen (nach eigenen Angaben) ignoriert hat und nun durch ihren Sturz das erste Mal mit den Zuständen in Karnaca konfrontiert wird. Als Kaiserin ist sie ja eigentlich auch die Chefin des Herzogs von Serkonos. Der Story-Bogen, der sich hier andeutet, handelt von einer jungen Herrscherin, die im wahrsten Sinne des Wortes in den Dreck geworfen wird, mit der harten Realität der Welt zurechtkommen muss.

Dishonored 2 - Trailer: Wer ist Emily Kaldwin? Video starten 4:25 Dishonored 2 - Trailer: Wer ist Emily Kaldwin?

Und (je nach Spielerentscheidung) sogar über Leichen geht. Hier läge so viel Potenzial auf der Straße: der Moment, als Emily zum ersten Mal ihr Leben kämpft. Oder, um genauer zu sein: zum zweiten Mal. Was wir aber nur aus der Zeitung erfahren). Oder es könnte der Augenblick sein, in dem sie merkt, dass sie mitverantwortlich für das Leid der Leute ist, weil sie als Kaiserin zu oft weggesehen hat.

Show, don't tell

Verlust, Ohnmacht, Rache - in der Welt von Dishonored 2 wären so starke Gefühle möglich. Stattdessen spult Emily relativ unbeteiligt ihren Sprechertext herunter (auf Deutsch und Englisch ist die Synchro recht durchwachsen), meuchelt sich ab der ersten Spielminute munter durch das Wachpersonal, beklaut arme Leute und schaltet ein Ziel nach dem anderen aus. Die Story erklärt das damit, dass sie von ihrem Vater trainiert wurde. Aber ob man auf Puppen einschlägt oder Leute absticht, sollte einen Unterschied machen. Training hin oder her.

Klar, wir können auch nicht-tödlich spielen. Doch selbst dann wirkt das Skript im Verhältnis zu dem, was wir spielerisch tun, merkwürdig deplatziert. Die Geschichte von Dishonored 2 leidet darunter, dass sie aus so vielen variablen Versatzstücken besteht: Zwei mögliche Helden mit zig möglichen Spielweisen verhindern, dass das Spiel in irgendeine Richtung wirklich packende Statements setzen kann. Emily kommentiert permanent irgendwelchen Kleinkram mit kryptischen Aussagen, wirkt nie wirklich involviert und macht keinerlei spürbare Charakterentwicklung durch, weil sie ja stets in alle Spielrichtungen plausibel bleiben muss.

Viele dieser Story-Probleme gelten aber auch für den Rest der Figuren. Unsere Helferin Meagan Foster entwickelt zum Beispiel erst gegen Ende der Kampagne so etwas wie Persönlichkeit - zu dem Zeitpunkt spielt sie aber fast keine Rolle mehr für uns. Auch das Schurken-Ensemble bleibt eindimensional, weil keiner in puncto Facetten über das Niveau eines Disney-Bösewichts hinauskommt.

Hey there, Delilah

Nicht jede Story muss figurengetrieben sein, solange der Plot stimmt. Aber Dishonored 2 erzählt eine 0815-Rachegeschichte ohne irgendeinen spannenden Twist. Der erste Teil hat sich mit seinen Nebenquests wenigstens um mehr Charaktervielfalt in der Spielwelt bemüht - die fallen in Teil zwei fast ausnahmslos weg. Die offenen Fragen um Delilah werden zwar beantwortet, allerdings steckt hinter ihr keine spannende Persönlichkeit - da wäre sie besser so kryptisch wie der Outsider geblieben, der nach wie vor der interessanteste (okkulte) Faktor des Dishonored-Universums ist.

Immerhin: Die Story leidet nicht unter Logiklöchern - wenn euch Innovation im Storytelling nicht wichtig ist, könnt ihr damit Spaß haben. Der Plot funktioniert, aber er reißt nicht mir, belohnt auch nicht wirklich. Unser Tipp: Spielt mit Corvo. Er hat die Lehrlingsjahre hinter sich, da erwartet man keine weltbewegende Charakterentwicklung, schließlich durchlebt er mehr oder minder dieselbe Hatz nach dem Thronräuber wie im ersten Teil. Es gibt übrigens abseits einiger Dialoge und Zwischensequenzen ohnehin keine Unterschiede zwischen der Kampagne von Emily und Corvo.

Ist Dishonored 2 das richtige Spiel für euch?

Ja, Dishonored 2 schafft es tatsächlich, Deus Ex, Thief und Bioshock die Stirn zu bieten. Allerdings »nur« in spielerischer Hinsicht. Selten war das Schleichen so ein Nervenkitzel, selten hat das Herumexperimentieren mit Waffen, Fertigkeiten und alternativen Wegen so viel Spaß gemacht. Egal ob wir Emily oder Corvo wählen: Die Reise durch Karnaca dürfte Stealth-Fans ein Lächeln ins Gesicht zaubern. Puristen beißen sich am hohen Schwierigkeitsgrad und der raffinierten KI fröhlich frustig die Zähne aus, Gelegenheitsspieler können in der stimmungsvollen Spielwelt Stunden damit verbringen, die Details des lebendigen Karnaca aufzusaugen.

Lediglich Story-Enthusiasten dürften mit Dishonored 2 nicht vollends glücklich werden. Gerade mit einer so tollen Spielwelt wie Karnaca schöpft Dishonored 2 sein Potenzial zu wenig aus: Die Story entfaltet sich weder in der Hauptgeschichte noch in irgendwelchen Nebenquests, sondern nahezu ausschließlich in Briefen, zufälligen Wachgesprächen, Bildern, Einrichtungen und so weiter. Das wird nicht jeder verzeihen können, allerdings sollte man dem Ganzen eine Chance geben, wenn man sich auch nur ein kleines bisschen für Schleichspiele interessiert. Denn mit Dishonored 2 gibt's den spielerisch besten Ableger dieses schlafenden Genres seit langer, langer Zeit.

Dishonored 2 - Ein Blick hinter die Kulissen Video starten 19:39 Dishonored 2 - Ein Blick hinter die Kulissen

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