Mein Herz für Klassiker - Ich, The Witcher & der Schwipps

2017 feierte The Witcher seinen zehnten Geburtstag. Grund genug für Lea, ihr Herz für Klassiker Geralt zu schenken.

Unsere Social Media Managerin Lea schenkt ihr Herz für Klassiker The Witcher Unsere Social Media Managerin Lea schenkt ihr Herz für Klassiker The Witcher

Die Bäume sind kahl, die Straßen vereist und der Wind schneidet durch jede noch so kleine Ritze meiner Kleidung - das Jahr neigt sich dem Ende. Das perfekte Wetter, um es sich bei einer Tasse Tee und einem stimmungsvollen Rollenspiel gemütlich zu machen.

Ich ziehe eine staubige Box aus dem Schrank: Der erste Witcher-Teil in der Enhanced Edition. Erinnerungen füllen meinen Kopf; Erinnerungen an epische Kämpfe, alte Freunde und an durchzechte Nächte mit Geralt von Riva.

Geralt wer?

Wie ein an Gedächtnisschwund leidender Hexer, der seine Vergangenheit aufarbeiten muss, fange ich am besten ganz von vorne an: Als RPG-Fan saugte ich über Jahre hinweg von Planescape Torment bis Mass Effect alles auf, was mir in die Hände fiel. The Witcher zählte nicht zu meinem Beuteschema. CD Projekt? Nie gehört. Geralt wer? Es ist wohl leicht auszumachen, dass ich in meinem jugendlichen Leichtsinn kein Kenner der Bücher von Andrzej Sapkowski war. Und wie sich herausstellen sollte, musste ich das gar nicht sein.

Ich weiß nicht mehr genau, wie es eines schönen Tages schließlich dazu kam, dass ich mich in einer größeren Elektromarkt-Filiale wiederfand und den Verkäufer nach einer Kopie von The Witcher fragte. Aber als ich zuhause ankam einen ersten Blick auf die steinigen Mauern von Kaer Morhen erhaschte, stellte ich schnell fest: "Hat ein bisschen was von Gothic, vielleicht doch nicht so schlecht."

Und so einfach war es um mich geschehen.

Nicht nur die Kämpfe in The Witcher konnten begeistern. Nicht nur die Kämpfe in The Witcher konnten begeistern.

Sex, Drugs & Würfelpoker

Was mich sofort in die Hexer-Welt eintauchen ließ? Trinkspiele, besoffene Kämpfe und Würfelpoker (das damalige Gegenstück zu Gwent).

Mit Geralt ordentlich auf die Kacke zu hauen war schon immer Bestandteil der Witcher-Formel, doch nie hat es so viel Spaß gemacht wie im Auftakt der Trilogie. Vielleicht, weil all diese "Entgleisungen" damals noch etwas Besonderes waren, vielleicht weil diese netten Extras in einer begrenzten und recht linearen Welt ein ganz neues Gefühl der Freiheit vermittelten. Und vielleicht auch, weil ich bei meinem ersten Playthrough genau die richtige Grundstimmung (und das passende Alter) für Party im Geralt-Stil hatte.

So ertappte ich mich während einer im realen Leben stattfindenden Hausparty etwa dabei, wie ich mir ausmalte, der konsumierte Wodka würde mir einen Kampfvorteil im Falle einer potenziellen Ausnahmesituation verschaffen ("Schwipps" war damals immerhin noch ein tatsächlicher Skill, der dem betrunkenen Geralt zu Schmerz-Immunität verhalf). Spätestens hier war mir klar: Ich spielte kein Spiel, ich lebte das Spiel.

Als junge Frau durfte ich mich also plötzlich wie ein derbzüngiger Hexer fühlen, der mit seinem Zwergen-Kumpel um die Häuser zog und ganz nebenbei auch eine Menge Monster abmetzelte - und das machte mir ziemlichen Spaß. Vermutlich gerade weil Geralts Gehabe so weit weg von meinem eigenen war.

Das soll aber natürlich nicht heißen, dass ich nicht auch meine eigenen Charakterzüge und Lifestyle-Entscheidungen im Spiel verewigte. Ich hatte mindestens so viel Einfluss auf Geralt, wie er auf mich.

Allein gegen alle - auch gegen Shani. Allein gegen alle - auch gegen Shani.

So plagte mich als heranwachsender Mensch natürlich mehr als einmal der Liebeskummer. Mit Geralt Party zu machen ging klar. Aber sich um Beziehungen zu kümmern? Nö. Die durchaus sympathische Medizinerin Shani ließ ich im letzten Moment einfach stehen und Geralt als einsamen Wolf durch die scheinbar weiten Lande streifen. Ein ganz neues Gefühl der Freiheit eröffnete sich mir: Ich konnte mein eigenes Ding durchziehen und das Spiel ließ mich gewähren. Die obercoole "Anti-Alles"-Attitüde funktionierte in der grobschlächtigen Welt von Witcher einfach zu gut.

Idylle pur

Mit der Sonne im Nacken durch friedliche Dörfer zu spazieren, einfach nur am Flussbett zu harmonisch vor sich hin plätschernder Musik eine Weile entspannen oder die bewegte Stadt-Kulisse bewundern Geralt mutierte vom "Anti-Alles"-Partytier regelmäßig zum gut ürgerlichen Wanderer, der einfach nur die schöne Aussicht genießen will. Selbst ein Rock'n'Roll-Hexer braucht also ab und an eine Auszeit von der Feierei, so wie ich auch einen Kater-Tag nach den Wodka-Eskapaden brauchte.

Doch wie im echten Leben sind Ruhe-Momente wie diese nie Verschwendung oder Leerlauf. Im Gegenteil: Selbst Handlungen, denen wir im Alltag kaum Beachtung schenken, können bedeutend sein.

So konnte es mir in Geralt-Form etwa passieren, dass ich mich auf dem Weg zur nächsten Quest mit meinem besten Kumpel Zoltan in einer philosophischen Grundsatzdiskussion über Gut und Böse verstrickte. Oder nichtsahnend durch das hohe Gras schlenderte, während ich vom kleinen Alvin begleitet wurde, der mich stets mit Fragen über meine Motivation und Einstellung zum Leben löcherte. Meine Antworten waren durchaus wichtig, aber das wusste ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht.

Idylle zwischen Monstern, Sex und Würfelpoker. Idylle zwischen Monstern, Sex und Würfelpoker.

Mit der großen Offenbarung am Ende (die hier nicht vollends gespoilert werden soll) fiel ich aus allen Wolken. Sie ist ein gutes Beispiel dafür, wie The Witcher es schaffte, mich an ausgewählten Stellen mit der vollen Breitseite an Komplexität und Story zu überraschen. Ebenso wie dafür, was die Witcher-Formel so perfekt macht. Zwischen Sex, Drugs & Würfelpoker ging nie der Blick für das große Ganze verloren, so wie es idealerweise auch im echten Leben sein sollte.

Sicherlich bin ich auch aufgrund dieser Lektion nicht als vereinsamter Stammgast in der nächstbesten Kneipe verendet, sondern fröne dem Hexer-Dasein im gemäßigten Rahmen. Etwa wenn ich Witcher wieder re-installiere während ich genüsslich an meinem heißen Tee nippe. Und danach ganz vielleicht einen Wodka trinken gehe.

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