Pokémon Sonne/Mond - Wie der Pokédex die Monsterjagd zum Albtraum macht

Auf ihrem Weg durch Alola macht Mary in Pokémon Sonne eine grausame Entdeckung, die ihre Sicht auf das Spiel und die Pokémon-Reihe dauerhaft verändert.

Pokémon Sonne & Mond - Auf den ersten Blick ein buntes, fröhliches Spiel. Pokémon Sonne & Mond - Auf den ersten Blick ein buntes, fröhliches Spiel.

Als ich zum ersten Mal Alola betrete, fühlt sich die Spielwelt von Pokémon Sonne/Mond gewohnt unbeschwert an: Die Sonne scheint, meine Mutter und ich sind gerade in unser Haus gezogen und ich freue mich auf das kommende Abenteuer. Noch weiß ich nicht, dass mein Reise bereits nach kurzer Zeit von einer Entdeckung überschattet werden würde, die meine Sicht auf das kleine Paradies und seine Bewohner maßgeblich verändert.

Aber fangen wir ganz von vorn an: Wie jeder angehende Trainer beginne ich meine Reise damit, mir mein Starter-Pokémon auszusuchen und mich nach anfänglichen Trainings-Episoden auf den Weg zu den Inselprüfungen zu machen. Auf meinem Weg möchte ich möglichst viel von der Welt entdecken und mein Team mit allerlei verschiedenen Pokémon-Typen ausstatten.

Ich kämpfe mich in Pokémon Sonne über die erste Route und durch die Trainer-Akademie, bis ich in der ersten großen Stadt ankomme: Hauholi wirkt ebenso idyllisch und sorglos, wie die übrigen Landstriche, die ich bereits von Alola gesehen habe. Auch hier scheinen Land und Leute wie aus einem Urlaubs-Katalog ausgeschnitten zu sein. Neben den typischen Einkaufspassagen gibt es unter anderem auch ein kleines Touristbüro und einen Friedhof. Dieser befindet sich außerhalb der Stadt und dient als letzter Ruheort für geliebte Pokémon. In der Hoffnung, einige Trainer und Pokémon dort zu treffen, begebe mich mich also zu der Gedenkstätte.

Alptraumhafte Entdeckung

Der Friedhof wirkt auf den ersten Blick wie der Rest der Alola-Welt: freundlich und auf Hochglanz poliert. Hier und da gibt es ein paar Grabstein-Reihen, die sich wie Arme von einer Art Platz erstrecken. Ich würdige das hübsche Design der Ruhestätte nur eines kurzen Blickes, bevor ich damit beginne, das Gebiet systematisch nach Items, Trainern und neuen Pokémon abzusuchen. Es dauerte nicht lange, da taucht eines im hohen Gras auf, das mir in meiner Sammlung noch fehlt.

Driftlon treibt sich auf dem Hauholi-Friedhof herum. Driftlon treibt sich auf dem Hauholi-Friedhof herum.

Driftlon sieht einem lila Ballon unglaublich ähnlich. Die Knopfaugen und die herzförmigen Fühler geben dem kleinen Pokémon vom Typ Geist/Flug ein niedliches Aussehen, als ob es keiner Fliege etwas zuleide tun könnte. Ich kenne das Pokémon bereits aus früheren Generationen. Nach einem kurzen Geplänkel landet es in einem meiner Pokébälle und ich genehmige mir ein zufriedenes Grinsen, bis mir der Pokédex-Eintrag angezeigt wird.

"Es heißt, dass es kleine Kinder an die Hand nehme und ins Jenseits zerre. Schwere Kinder sind ihm eine Last."

Für einen kurzen Moment starre ich ungläubig auf den Bildschirm. Das kleine Pokémon, das ich seit Generationen für sehr niedlich gehalten habe, ist in Wirklichkeit ein Kinder entführendes Monster? Verstört schlage ich die älteren Pokédex Einträge nach. Auch in Pokémon HeartGold wird darauf verwiesen, dass Kinder dank Driftlon verschwunden sind, dort klingt es aber eher nach einem Unfall als nach böswilliger Absicht.

"So manches Kind verschwand schon auf Nimmerwiedersehen, weil es ein Driftlon für einen Ballon hielt."

Ich setze meinen Weg über den Friedhof von Pokémon Sonne fort, der mir nun unheimlich vorkommt. Ist es vielleicht Zufall, dass ich hier kein einziges Kind antreffe? Vielleicht wurden sie schon von einigen Driftlons verschleppt… Seit dieser Begegnung lese ich mir seit langer Zeit wieder aufmerksam die Pokédex-Einträge meiner gefangenen Taschenmonster durch, die ich sonst mit großem Desinteresse einfach weggeklickt habe. Schnell wird klar, dass Driftlon nicht das einzige Pokémon mit so dunklen Eigenschaften ist. Unter Colossands Sandburg liegen beispielsweise die Gebeine toter Menschen, denen es qualvoll die Lebenskraft ausgesaugt hat, während Gengar Menschen tötet, um sich einen Reisegefährten zu erschaffen.

Kosturso umarmt seine Kumpanen so doll, dass es manchen Trainern dadurch schon das Rückrad gebrochen hat. Kosturso umarmt seine Kumpanen so doll, dass es manchen Trainern dadurch schon das Rückrad gebrochen hat.

Von tödlichen Monstern, über die niemand spricht

Die Pokémon-Reihe, die mich nun schon fast mein ganzes Leben lang begleitet, ist zum Kinderspiel mit dunklem Kern geworden. Das Entdecken dieser Einträge, die vor allem mit Pokémon Sonne/Mond einen sehr bitteren Beigeschmack erhalten haben, stellt mein Weltbild über die Taschenmonster auf den Kopf und verändert mein Spielverhalten. Früher war der Nacht/Tag-Wechsel immer nur ein Indikator dafür, welche Pokémon ich wann fangen kann. Jetzt wirkt die Nacht beklemmender und jeder Schatten, der im hohen Gras auf mich zurennt, erscheint mir wie eine tödliches Raubtier.

Die Bezeichnung "Taschenmonster" wirkt damit passender denn je: Früher hatte ich die kleinen niedlichen Haustiere vor Augen, die immer glücklich waren und harmonisch mit den Menschen co-existierten. Doch nach dieser Entdeckung sticht vor allem der zweite Wortteil "Monster" besonders hervor. Zwar gab es schon in früheren Editionen einige Einträge, die bedrohlich wirkten, jedoch waren sie nie so explizit formuliert, wie in den neuesten Editionen.


Mary Marx (@zaizencosplay):

Pokémon begleitet Mary schon fast ihr ganzes Leben. Auf dem Schulhof hat sie die Sammelkarten getauscht und Zuhause wurde lief auf dem hart erkämpften Gameboy ununterbrochen Pokémon Kristall. Sie hat beinahe jedes Editions-Spiel der Pokémon Franchise gespielt und konnte sich vor allem für Pokémon Saphir sehr begeistern. Mit Pokémon Sonne sieht sie als gelungene Innovation an, wobei sie einige Pokémon-Designs fragwürdig findet.

Interessant ist außerdem, dass diese grausamen Einträge kaum thematisiert werden. Zwar wurde bereits in Schwarz/Weiß über grausame Trainer und die Knechtschaft der Pokémon gesprochen, das Gespräch fokussierte sich aber nie auf die Eigenschaften der Monster selbst. Auch in Sonne/Mond wird innerhalb der Æther-Foundation nur kurz erklärt, dass Pokémon untereinander Fressfeinde sein können. Darüber, dass sie allerdings auch Menschen töten oder verschleppen, schweigen alle Charaktere, die ich bis jetzt auf meiner Reise getroffen habe.

Es scheint, als würde über die Generationen hinweg Pokémon immer dunkler und grausamer werden, während die Welt um sie herum immer heller und freundlicher strahlt. Auf die Frage, warum diese Einträge über Mord, Entführung und Tod überhaupt existieren und ob sie etwas zum Spiel beitragen, habe ich noch keine Antwort gefunden. Völlig ohne Zweifel ist aber die Tatsache, dass sie meine Sicht auf die Alola-Region und die allgemeine Franchise maßgeblich verändern. Ich werde Pokémon nie wieder so unbeschwert spielen können, wie früher.

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