Red Dead Online - Hilfe, ich kann nicht aufhören, alle zu erschießen

Der Multiplayer-Modus von Red Dead Redemption 2 lässt Hannes jeden Anstand vergessen und entfesselt die Bestie in ihm. Warum kann er nicht einfach lieb sein? Warum muss er alle immer erschießen? Eine Selbstdiagnose.

Der Schrecken des Wilden Westens: Rosalinde mit ihrem Pferd Darth Gaul. Der Schrecken des Wilden Westens: Rosalinde mit ihrem Pferd Darth Gaul.

Hallo, ich heiße Hannes und ich habe ein Problem. Seit dem Start der Red Dead Online-Beta beobachte ich ein seltsames Verhalten bei mir: Ich entwickle mich langsam, aber sehr sicher, zu einem Griefer.

Zur Erklärung: Ein Griefer ist jemand, der es sich in Videospielen zur Aufgabe gemacht hat, anderen Spielern den Spaß zu verderben. Ein hartes Wort also. Zwar mache ich all das nicht aus purer Bosheit, aber darauf, was ich seit ein paar Tagen in Red Dead Online anstelle, bin ich alles andere als stolz. Ich töte, morde und erschieße einfach alles, was mir vor das Repetiergewehr läuft.

Und es macht so viel Spaß.

Geständnisse eines Wild West-Trolls

Wie schlimm es wirklich um mich steht, habe ich dann gestern Abend erfahren, als ich mit meinen Kollegen Rae, Dennis und Linda eine Posse gründete, um gemeinsam als Outlaws durch die Steppen zu ziehen. Während sich die anderen nämlich darum kümmerten, ihre Pferde zu striegeln und Missionen für uns zu finden, jagte ich streunenden Hunden hinterher und erschoß sie kaltblütig auf den Straßen von Blackwater.

Auch bei dem Zeugen, der mich dann wegen Tierquälerei anzeigen wollte, kannte ich keine Gnade. Ein Schuss in den Rücken beseitigte das Problem und Rosalinde, so der Name meines Anarcho-Cowgirls, flüchtete auf ihrem treuen Ross "Darth Gaul" in den Sonnenuntergang. Dass meine Freunde dann Probleme mit dem Gesetz bekamen, nahm ich bedenkenlos in Kauf.

Im Hintergrund seht ihr mich, wie ich einem armen Pferd den Gnadenschuss geben muss. Im Hintergrund seht ihr mich, wie ich einem armen Pferd den Gnadenschuss geben muss.

Ich weiß gar nicht, wo diese Lust an der Wild West-Gewalt so plötzlich herkommt. In der Hauptstory legte ich doch so viel Wert darauf, dass Arthur zu den "guten" Banditen gehört, der nur dann zur Waffe greift, wenn es unbedingt sein muss. Red Dead Online entfesselt aber den Blutrausch in mir. Und bald blieb es auch nicht bei Tieren und NPCs.

Ich wollte noch mehr Chaos stiften.

Wenn aus Spaß blutiger Ernst wird

Jeder Spieler, der unserem Trupp zu nahe kam, wurde von mir erschossen. Mal aus sicherer Entfernung, mal unter Vortäuschung allgemeiner Nettigkeit auch aus nächster Nähe. Nach dem freundlichen Emote-Gruß gab es blaue Bohnen zwischen die Augen. Selbstverständlich rächten sich diese Spieler dann an uns. Kurz nach dem Respawn, der in Red Dead Online nur wenige Augenblicke dauert, galoppierten meine Opfer sofort wieder in unsere Richtung und eröffneten das Feuer.

Da ich aber wusste, was ich angerichtet hatte, konnte ich mich jedes Mal rechtzeitig in Sicherheit bringen. Für meine Kameraden kam der Beschuss jedoch meist wie aus dem Nichts und in der Regel gingen sie leblos zu Boden. Linda verlor zeitweise sogar Zugriff auf ihr geliebtes Pferd "Spider-Man", weil es vollkommen durchlöchert einen elendigen Tod in den Grasebenen vor Blackwater starb.

Oh Gott, das war alles so lustig.

Mein Trupp verlor langsam die Motivation. Zu oft wurden wir überfallen, zu oft wurden wir niedergemacht und zu wenig tatsächlichen Fortschritt hatten wir erreicht. Im Voice Chat hörte ich, wie der Frust langsam Überhand nahm.

Niemand hatte noch Lust darauf, mit mir zu spielen. Als die Posse dann aufgelöst wurde, weil sich nach und nach alle ausloggten, machte ich das, was Rosalinde immer macht - ich schoss ihnen in den Kopf. Friendly Fire war dadurch ja wieder aktiviert.

Könnt ihr hier irgendwelche Straßenhunde entdecken? Tja, ich auch nicht. Könnt ihr hier irgendwelche Straßenhunde entdecken? Tja, ich auch nicht.

Erst als ich mich selbst aus Red Dead Online verabschiedete, fragte ich mich: "Was war das denn bitte?" Jeden anderen Spieler, der sich so verhalten würde, hätte ich verflucht und vom Server geworfen, wenn ich Admin wäre. Aber warum bin ich mit Rosalinda dann so durchgedreht? Was stimmt denn nicht mit mir?

Dann aber kam die große Erkenntnis: Ich kann gar nichts dafür!

Ok, hört mir zu.

Ich glaube, ich erschieße nur deshalb so viele Spieler, weil es eben ungestraft bleibt. Es hat kaum Konsequenzen, wenn ich meine Waffen sprechen lasse. Klar, auch in Red Dead Online gibt es das Wanted-System und Verbrechen werden entsprechend geahndet. Allerdings verfolge ich im Free Roam-Modus ohnehin keine größeren Ziele, das echte Cowboy-Gefühl finde ich nämlich schon in der Hauptstory.

Sobald die Sheriffs auf Streife sind, gebe ich Darth Gaul die Sporen und innerhalb weniger Sekunden bin ich außer Gefahr. Wie eine Heuschrecke kann ich so von Ort zu Ort springen und Schrecken verbreiten. Selbst wenn sich die anderen Spieler wehren, sehe ich hier keine negativen Folgen für mich. Wie bereits erwähnt, steige ich nahezu sofort wieder in das Spiel ein, kann meinen Gegenüber auf der Karte wiederfinden und ihm das Licht ausknipsen.

Und wenn ich auf diesen Kreislauf des Todes keine Lust mehr habe, kann ich nach insgesamt vier erlittenen Toden einfach mit meinem Peiniger verhandeln und er darf mich 10 Minuten lang nicht mehr angreifen. Ausreichend Zeit, um weiterzuziehen und sich den nächsten Schabernack zu überlegen. Warum sollte ich denn auch Zeit in die Missionen oder meinen Charakter investieren, wenn Rockstar Games nicht garantieren kann, dass mein Fortschritt in die Release-Version übernommen wird?

Brutalität als Lebensgefühl

Vielleicht liegt es aber auch einfach daran, dass das Machtgefühl, das ich dank Revolverheld Arthur noch aus der Kampagne kenne, nicht ganz vergessen ist. In der Hauptgeschichte gab es niemanden, der mir das Wasser reichen konnte. Also fing ich einfach Passanten mit dem Lasso ein, warf sie ins Schafgehege und streckte den Hilfssheriff nieder, wenn er sich beschweren wollte. Diese Überheblichkeit schwingt in Red Dead Online noch immer mit.

Es ist auch einfach zu spaßig, das deftige Gunplay und die lustige Physik von Red Dead Redemption 2 ständig auf die Spitze zu treiben. Klar kann es auch interessant sein, einem vorbeiziehenden Spieler einfach nur zu winken und dann seiner Wege zu ziehen. Aber ich könnte ihn auch mit einem Kopfschuss vom Pferd donnern und zusehen, wie er im Salto in den Staub fällt. Irgendwie fehlt mir hier der Anreiz, das einfach nicht zu tun.

Red Dead 2
Ein legendärer Bär & der größte Trottel im Wilden Westen

Die Gewalt in Red Dead Online ist für mich deshalb so befriedigend, weil sie stets plötzlich ist. Während es in anderen MMO-Varianten ohnehin ständig nur um das Überleben geht, ist die Welt von Red Dead Online im Grunde halbwegs in Ordnung. Die Gesellschaft ist intakt. In diese Ruhe hineinzustoßen, alles umzuwerfen und jeden aufzuscheuchen, ist derart unterhaltsam, dass es mir schwerfällt, mich auf den Rest des eigentlichen Spiels zu konzentrieren.

Vielleicht ändert sich das ja noch. Aber erst einmal tobt sich Rosalinde weiter aus. Hoffentlich spielen die anderen wieder mit mir. Ich habe ein paar neue Ideen.

Anmerkung der Redaktion: Wir distanzieren uns hiermit geschlossen von Hannes "Rosalinde" Rossow - sowohl von seinen Behauptungen bezüglich unserer Spielqualität als auch von seinem abstoßenden Treiben in Red Dead Online.

zu den Kommentaren (31)

Kommentare(21)
Kommentar-Regeln von GamePro
Bitte lies unsere Kommentar-Regeln, bevor Du einen Kommentar verfasst.

Nur angemeldete Benutzer können kommentieren und bewerten.