Shepard als Antiheld: In Mass Effect lasse ich die Sau raus und das macht die Story besser

Für unseren freien Autor Stephan gibt es nur eine Art Shepard zu spielen. Denn Anti-Helden sind für ihn die besseren Charaktere.

Der böse Cyborg-Look ist nur einer der Vorteile von Renegade Shepard. Der böse Cyborg-Look ist nur einer der Vorteile von Renegade Shepard.

Habt ihr schon einmal Renegade Shepard gespielt? Laut den offiziellen Angaben von Bioware, die besagen, dass über 90% aller Spieler die Paragon Route wählen, wohl eher nicht. Für mich unvorstellbar. Gibt es ein Moral-System in einem Spiel, dann sollten die NPCs zittern, sobald mein Charakter die Bühne betritt. Denn meiner Erfahrung nach habe ich bedeutend mehr Spaß, wenn ich Chaos und Zerstörung sähe, anstatt jede Katze vom Baum zu retten (und ich liebe Katzen!).

Nicht böse, sondern rücksichtslos. Mass Effect hat dabei einen besonderen Platz in meinem Herzen, denn statt einfach nur böse zu sein, verwandelt sich mein Shepard als Renegade in einen coolen Actionhelden, der links und rechts Sprüche raushaut, grundlos Prügeleien anfängt, Bösewichte mit einer Kugel während ihrer Monologe unterbricht und dabei auch noch die für mich bessere Story erzählt.

90er Jahre Badass

Ich bin großer Fan klassischer Actionhelden: Schwarzenegger, Stallone, Jean Reno oder Jet Li. Relikte einer Zeit, als erst nach einem guten Schusswechsel oder einer Prügelei über die Folgen diskutiert wurde. Genau diese übertriebene Action bekomme ich von Renegade Shepard.

Dieser Söldner gewinnt gerade einen Freiflug Richtung Asphalt. Dieser Söldner gewinnt gerade einen Freiflug Richtung Asphalt.

Weniger passiv und bedeutend cooler! Während sein Paragon-Gegenstück gerne einmal brav in der Ecke steht und dem Bösewicht bei seiner Rede zuhört, wie er Shepard an den Kragen will, so greift mein Anti-Held einfach zur Knarre und ballert die Labertasche über den Haufen. Und dies ist nur eine der coolen Situationen, in die ich dank des Renegade Pfades stolpere. Reporter die dumme Fragen stellen? Dann gibt's volles Pfund aufs Maul, wenn ich mir die kleine Gothic-Anspielung erlauben darf. Der Rat versucht mich mal wieder zu behindern? Einfach mitten im Holo-Telefonat auflegen! Und wer tritt nicht gerne Söldner durch die Scheiben von Hochhäusern in den Abgrund?

Drücke ich den rechten Trigger des Controllers, kann ich mir sicher sein, dass immer etwas interessantes passiert. Und sei es nur eine längere Beschreibung, was Shepard mit den abgetrennten Köpfen seiner Gegner anstellt.

Pragmatisch und menschlich

Doch die Aktionen von Renegade Shepard sind nicht nur "90er Jahre"-cool, sondern für mich auch wesentlich nachvollziehbarer, als die seines "guten" Alter-Egos. Denn sie haben oft einen sehr viel pragmatischeren Ansatz, in Anbetracht der Gefahr durch die Reaper.

Moral muss man sich leisten können. Wäre es aus moralischer Sicht besser, mit langen Debatten alle Völker diplomatisch zu vereinen, bis alle Händchen haltend im Kreis sitzen und Kumbaya singen? Natürlich! Aber oft ist es sinnvoller, Situationen schnell zu lösen, um sich sofort wieder den Reapern zuzuwenden - auch wenn hin und wieder jemand auf der Strecke bleibt. Mein Shepard tötet Tausende, um Millionen zu retten. Er arbeitet mit Verbrechern zusammen, um nur einen winzigen Vorteil für das Universum rauszuschlagen, während der Rat ihm bloß Steine in den Weg legt.

Solche dramatischen Szenen bekommt ihr häufiger auf dem Renegade Pfad zu sehen. Solche dramatischen Szenen bekommt ihr häufiger auf dem Renegade Pfad zu sehen.

Der Zweck heiligt die Mittel und das verleiht dem Charakter für mich so viel mehr Tiefe - anders als ein Held vom Archetyp Paladin, der jeden selbstlos rettet, dafür aber unnötige Risiken für alle eingeht. Das macht Renegade Shepard nicht nur interessanter, sondern für mich auch schlichtweg menschlicher. Ein Held der Opfer bringt und mit den Konsequenzen seiner Rücksichtslosigkeit leben muss, ist für mich viel dramatischer und macht meinen Spieldurchlauf dadurch auch unterhaltsamer.

Zwar bringt auch Paragon Shepard immer wieder Opfer, um das Universum zu retten, aber es überwiegen doch häufiger die Momente, in denen alle Parteien mit dem Ergebnis zufrieden sind und sich miteinander vertragen. Die längerfristige Frage der Renegade-Route "War es das alles wert?" ist für mich storytechnisch da sehr viel faszinierender.

Ein wenig Paragon ist schon ok

So ganz ohne Paragon komme ich aber doch nicht bei meinen Spieldurchläufen aus. Denn wenn es um die Crew der Normandy geht, werde ich jedes mal schwach. Dort schaffe ich es einfach nicht zu aggressiv zur Sache zu gehen. Dafür habe ich alle zu sehr ins Herz geschlossen - dann müssen die Reaper eben doch kurz warten. Auch bei vielen Antworten in Mass Effect 1 werde ich wohl nie den roten Text wählen, bei denen Shephard einfach nur rüberkommt wie ein Alien-Rassist.

Ein Moment auf den ich mich in jedem Teil freue. Ein Moment auf den ich mich in jedem Teil freue.

Das Gesamtpaket stimmt. Trotzdem bleibt Renegade Shepard der Beste. Er kombiniert Action und Drama zu einem einzigartigen Erlebnis, mit dem sich Mass Effect für mich erst richtig wie eine Space Opera anfühlt und weniger wie die klassische Heldenreise, die ich auch in dutzenden anderen Spielen erleben kann. Daher kann ich euch Renegade Shepard nur empfehlen und sei es nur, um Khalisah al-Jilani in allen drei Teilen eine Abreibung zu verpassen.

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