Seite 2: Faszination Minecraft - Eckige Erkenntnisse

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Das Design: Befreiende Limitierung

Im Creative-Modus der Beta-Version 1.8 von Minecraft dürft ihr nicht nur beliebig bauen, sondern auch elegant durch die Spielwelt fliegen. Im Creative-Modus der Beta-Version 1.8 von Minecraft dürft ihr nicht nur beliebig bauen, sondern auch elegant durch die Spielwelt fliegen.

Minecraft taugt ob seiner Einzigartigkeit schlecht als Blaupause für künftige Spielehits. Dennoch fußt sein überraschender, vor allem überraschend nachhaltiger Erfolg auf grundlegenden Eigenschaften, die Vorbildcharakter für viele Arten der Spieleentwicklung haben. Diese Stärken sind es wert, eingehender betrachtet zu werden. Den Einstieg für unsere Analyse bilden drei einfache Beobachtungen:

Minecraft ist eine wirtschaftliche Erfolgsgeschichte. Welchen Anteil daran hat sein Entwicklungsmodell?

  • Minecraft ist ubiquitär, es dominiert den Diskurs über Spiele.
    Warum spricht jeder über Minecraft, was befeuert seine Viralität?

  • Minecraft besitzt ein ungewöhnlich hohes Begeisterungspotenzial. Warum lieben Minecraft-User ihr Spiel so messianisch – und warum fällt es anderen Spielen schwer, eine vergleichbare Faszination zu entwickeln?

Indem wir diesen Fragen nachgehen, werden wir sehen, was man von Minecraft lernen kann.

1. Form folgt der Funktion

Trotz der blockigen Grafik entwickelt das bunte, klar strukturierte Minecraft eine ästhetisch ansprechende Gesamtanmutung. Trotz der blockigen Grafik entwickelt das bunte, klar strukturierte Minecraft eine ästhetisch ansprechende Gesamtanmutung.

Spielern fällt an Minecraft immer zuerst auf, wie alt es aussieht. Minecraft ist mit seinem Blockdesign und Pixel-Look ein grafisch simples Spiel. Was nicht bedeutet, dass es auch ästhetisch anspruchslos wäre. Natürlich erkennen Spieler im Look von Minecraft den Charme des Retro-Zitats, aber man darf diese Pixelklassik als logische Konsequenz des Spieldesigns verstehen.

Minecraft sieht nicht so aus, wie es aussieht, um auf möglichst vielen PCs zu laufen (die ressourcenfressende Java-Programmierung macht es zu alles anderem als einem Low-Spec-Titel). Die Anmutung von Minecraft ist die vernünftige Folge eines Designs, das sich die Limitierungen der Spiele-Frühzeit als Ideal auferlegt: Einfachheit, Klarheit, Reduktion. Wo inhaltlich abstrahiert wird, ist die grafische Abstraktion natürlich naheliegend.

Der Wert der Abstraktion besteht darin, komplexe Konzepte so radikal zu vereinfachen, dass sie jeden Schrecken verlieren. In einer Welt, in der drei übereinandergestapelte Blöcke ein Holzpfeiler sind, muss man nur einen Block umsetzen und erhält einen Stuhl; fünf Blöcke bilden einen Türrahmen; drei Dutzend Blöcke ein Haus. Das System ist hochgradig limitierend, es gibt keine Schrägen, keine Rundungen, keine Zylinder oder Rechtecke, kein Entrinnen vor dem Raster.

Diese Limitierung ist befreiend. Jeder Mensch kennt die Erfahrung, wie sehr völlige Freiheit die Kreativität hemmt und wie sehr sie davon profitiert, wenn man ihre Spannweite begrenzt. Kinder können sich mit einem Spielzeugauto und drei Bauklötzen stundenlang beschäftigen. Verzweiflung und Tränen drohen eher, wenn man sie in den Spielwarenladen stellt und sagt: »Such dir was aus!«
Das Prinzip: übertragbar?

Minecraft ist ein Spiel, das seine Präsentation in den Dienst des Spielerlebnisses stellt, selbst auf die Gefahr hin, dadurch unmodern zu wirken. In einer so auf Äußerlichkeiten fokussierten Branche wie unserer gehört dazu eine gute Portion Mut, wie ihn sich praktisch nur noch Indie-Studios leisten können. Wer Minecraft als Bannerführer eines optischen Retro-Trends sieht, missversteht das Spiel. Es ist ein Plädoyer dafür, dass Stil, Design und Inszenierung natürlich aus den Anforderungen der Spielmechanik entspringen sollten und nicht, wie wir im nächsten Punkt sehen, umgekehrt.

2. Ein Spiel ist mehr als Sport

Die Kolben sind ein neues Bauelement aus der Minecraft-Version 1.7. Mit ihnen dann der Spieler Blöcke verschieben, sie lassen sich aber auch einsetzen, um wie hier eine Schleuse zu bauen. Die Kolben sind ein neues Bauelement aus der Minecraft-Version 1.7. Mit ihnen dann der Spieler Blöcke verschieben, sie lassen sich aber auch einsetzen, um wie hier eine Schleuse zu bauen.

Es besteht ein großer Unterschied darin, wie Kinder und Erwachsene Spiele spielen. Die Spiele der Erwachsenenwelt sind in der Regel wettbewerbsorientiert und hochgradig formalisiert. Sie funktionieren nur, wenn die festen Regeln genau eingehalten werden. Die populärsten Erwachsenenspiele haben sich als Sportarten konsolidiert, bei denen jeder Regelbruch als Verstoß gegen den Sinn des Spiels verstanden wird. Das Gleiche gilt für zwanglose Gesellschaftsspiele von Skat über Die Siedler von Catan bis hin zu Mensch ärgere dich nicht.

Auch Kinderspiele folgen Regeln und haben Ziele. Aber genau wie das Spiel selbst entstehen diese Konditionen meistens spontan, und sie können sich ändern. Kinder integrieren fließend neue Personen, Gegenstände und Orte in ihr Spiel. Sie benutzen das, was ihnen zur Verfügung steht, zur Gestaltung des Geschehens. Kinderspiele leben von Kreativität und Vorstellungskraft, und das in einem Maß, das uns Erwachsene, wenn wir mitspielen wollen, schon nach Minuten überfordert.

Computerspiele sind, als Produkte der Erwachsenenwelt, seit jeher stark formalisiert, zumal man ihre eincodierten Regeln nicht mal dann brechen könnte, wenn man es wollte.

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