Shitstorm über Redmond - Protokoll eines PR-Desasters

Schimpfende Fans und schlechte Verkaufszahlen zwingen Microsoft zur spektakulären Kehrtwende. Wir zeichnen im Report den PR-Kurs der Xbox One nach.

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»Your feedback matters!« - eure Meinung ist uns wichtig. - Mit diesen Worten leitete Microsofts Entertainment-Chef Don Mattrick am 19.06. die überraschende Kehrtwende ein: Kopierschutz, Gebrauchtspiele und »Always On« - Themen, über die sich Spieler weltweit echauffierten, sind plötzlich vom Tisch. Ja, sogar »codefree« soll die Xbox One auf einmal sein. Die wütende Masse siegte. Wir zeigen auf, wie es zum Sturmlauf gegen Microsoft kam und aus welchen Gründen sich die Redmonder zur Kehrtwende entschlossen.

21.05. 2013 - Microsoft enthüllt die Xbox One

Der großen Xbox One Reveal konzentrierte sich auf die neuen TV-Funktionen der Konsole. Nur wenige Spiele wurden präsentiert. Der großen Xbox One Reveal konzentrierte sich auf die neuen TV-Funktionen der Konsole. Nur wenige Spiele wurden präsentiert.

In Redmond stellt Microsoft die Xbox One vor - geladenen Journalisten vor Ort und Spielern auf der ganzen Welt per Livestream. Anders als Sony etwa drei Monate zuvor zeigt der Hersteller neben dem neuen Controller auch die Konsole selbst. Soweit, so gut. Doch dann beginnt Microsoft über TV-Funktionen der Xbox One und die Partnerschaft mit der amerikanischen Football-Liga NFL zu sprechen - eine gute halbe Stunde lang. Damit nehmen die Themen Sport und TV etwa die Hälfte der Veranstaltungszeit ein. Was für sport- und fernsehbegeisterte Amerikaner noch halbwegs interessant sein dürfte, langweilt den Rest der Welt. Spiele gibt es kaum zu sehen.

Auf Twitter und Facebook sind die Fans geteilter Meinung: Während die einen auf die E3-Pressekonferenz warten wollen, um sich ein finales Bild der Xbox One zu machen, kritisieren die anderen, dass es sich bei der Xbox One mehr um ein Mediacenter handelt als um eine Spielekonsole. Erste Fans singen Lobgesänge auf Sony, die bei der Enthüllung im Februar zuvor bereits einige Next-Gen-Spiele vorgestellt hatten.

Youtube-User Darkbeatdk produziert noch am gleichen Tag eine Zusammenfassung der Enthüllungsveranstaltung: In dem 1:41 Minuten langen Video (inzwischen über 6,8 Millionen Mal angeschaut) sind ausschließlich die Worte »TV, TV, TV, Sports, TV, …« zu hören, in den Kommentaren darunter vorwiegend Häme. Wie auch auf vielen anderen Websites in vielen anderen Foren. Erste dunkle Wolken über Redmond.

Xbox One - Video zu Hardware, Features, Spielen Video starten 6:53 Xbox One - Video zu Hardware, Features, Spielen

22.05. Kinect is watching you

Die Medien greifen nach der Xbox One-Enthüllung das Reiz-Thema »Kinect« auf und malen ein düsteres Bild: Muss die Kamera der Xbox One wirklich permanent angeschaltet und online sein? Will Microsoft die Spieler ausspionieren? Könnte man uns beim Fernsehen beobachten und Verhaltensdaten an Werbetreibende verkaufen? Kinect wird daraufhin auch in den sozialen Netzwerken zum Thema.

Spieler haben Angst, durch den Kinect-Sensor beobachtet werden zu können. Laut Microsoft ist es allerdings möglich, die Kamera auch auszuschalten. Spieler haben Angst, durch den Kinect-Sensor beobachtet werden zu können. Laut Microsoft ist es allerdings möglich, die Kamera auch auszuschalten.

24.05. Erste Gerüchte um Gebrauchtspiele

Laut eines Medienberichts hat Microsoft vor, den Handel mit Gebrauchtspielen zu kontrollieren. Angeblich will der Konsolenhersteller satte 40 Euro Aktivierungsgebühr erheben. Ohne eine Aktivierung würde das gekaufte Spiel nicht laufen. Zusammen mit dem Preis, den der Käufer an den Händler bezahlen würde, wäre also beinahe der Vollpreis fällig. Kein lohnendes Geschäft, weder für Privatkäufer und -verkäufer noch für Gebrauchtspielhändler. Microsoft druckst herum, schafft keine Klarheit - die Fans gehen in den sozialen Netzwerken spekulieren und machen sich schon mal startklar, um auf die Barrikaden zu gehen.

Warum eigentlich DRM-Maßnahmen
Wie kommen Hersteller wie Microsoft oder Sony überhaupt auf den Gedanken, DRM-Maßnahmen einführen zu wollen? Neben den Raubkopien, die man damit in den Griff bekommen würde, ist es in erster Linie der Gebrauchtspielmarkt, der vielen Herstellern ein Dorn im Auge ist, da sie an Spieleverkäufen keinen Cent verdienen. Perfektioniert wurde das Prinzip von Händlern wie GameStop, die sich mit Gebrauchtverkäufen eine goldene Nase verdienen, indem sie gebrauchte Spiele (sehr) günstig ankaufen und deutlich teurer (aber weit unter dem empfohlenen Verkaufspreises der Neuware) wieder verkaufen. Das sorgt in den wichtigen ersten Verkaufswochen von Spielen für einen teilweise krassen Preisverfall und schadet den Publishern. Letztlich dürften die es auch gewesen sein, die überhaupt den Anstoß zu den DRM-Überlegungen bei Microsoft und Sony gegeben haben.

25.05. Microsoft sperrt Kommentar-Bereich

Die Proteste gegen vermeintlich geplante DRM-Maßnahmen erreichen auch den Xbox-Kanal auf Youtube. Microsoft wird den teilweise beleidigenden Kommentaren nicht mehr Herr und sperrt kurzerhand die Kommentarfunktion unter den Xbox One-Videos. Ein großer Fehler! Auf Youtube häufen sich daraufhin Anti-Xbox-Videos.

27.05. #PS4NoDRM, #XboxOneNoDRM

Unter den Hashtags »PS4NoDRM« und »XboxOneNoDRM« protestieren Videospieler auf der ganzen Welt gegen den geplanten Kopierschutz und bitten damit auch Sony, von etwaigen Maßnahmen abzusehen. Ein Insider im Neogaf-Forum zwitschert, dass Sony tatsächlich plane, DRM bei der PS4 einzusetzen, nach der Protestbewegung nun aber hin- und hergerissen sei.

07.06. Microsoft veröffentlicht FAQ

Hätte man Forza Motorsport 5 für die Xbox One mit DRM-Gängelung gekauft, hätte man es nicht ohne Weiteres an Freunde verleihen und verkaufen können. Durch Microsofts Rückzug ist DRM jetzt vom Tisch. Hätte man Forza Motorsport 5 für die Xbox One mit DRM-Gängelung gekauft, hätte man es nicht ohne Weiteres an Freunde verleihen und verkaufen können. Durch Microsofts Rückzug ist DRM jetzt vom Tisch.

Noch vor der E3 bestätigt Microsoft mit einem FAQ die DRM-Pläne: Um die Xbox One nutzen zu können, ist zwingend eine Internetverbindung notwendig. Alle 24 Stunden muss die Konsole Kontakt zu den Servern aufnehmen, sonst funktionieren die freigeschalteten Spiele nicht mehr.

Disk-Spiele müssen außerdem übers Internet aktiviert werden und können nur über von Microsoft lizenzierte Händler wieder verkauft werden - wohl zunächst noch ohne zusätzliche Gebühr, aber die könnte es noch geben, da es Drittanbietern freigestellt ist, Gebühren zu erheben. Der richtige Zeitpunkt, um mit der Wahrheit rauszurücken? Wohl kaum: Die Wolken über Microsoft ziehen sich zu einem Mega-Gewitter zusammen.

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