Ghost of Tsushima war vor rund fünf Jahren das letzte große Exklusiv-Highlight für die PS4, das vor allem mit seiner malerischen Open World und hervorragend inszenierten Katana-Kämpfen begeistern konnte. 350 Jahre nach den Ereignissen rund um Samurai Jin erleben wir jetzt auf der PS5 die eigenständige Geschichte von Ronin Atsu, die am Fuße des schneebedeckten Mount Yōtei ihre brutal ermordete Familie rächen will.
Zwar hat Ghost of Yōtei mit Blick auf die Story und das Kampfsystem durchaus seine Macken und für manche könnte das Third-Person-Action-Adventure zu wenig Frische bieten. Unterm Strich liefert Entwickler Sucker Punch jedoch erneut ein sehr gutes Open World-Spiel ab, das euch für mindestens 25 bis 30 Stunden bestens unterhalten kann.
Muss ich Ghost of Tsushima gespielt haben? Ein glasklares "Nein". Die Geschichte von Jin Sakai ist komplett losgelöst von den Ereignissen rund um Atsu und ihr benötigt keinerlei Vorkenntnisse, um die Story von Ghost of Yōtei zu verstehen.
Rache!
16 Jahre sind vergangen, seit die berüchtigten Yōtei 6, eine Gruppe abtrünniger Samurai, die Eltern von Atsu auf ihrem Gehöft bestialisch ermordeten und das damals noch junge Mädchen brutal mit einem Katana an einem Ginkgo-Baum aufspießten. Zwar blieb Atsu äußerlich aus dieser Nacht nur eine lange Narbe an der linken Schulter zurück, die klaffende Wunde in ihrer Seele konnte allerdings nie verheilen.
Deshalb entschließt sie sich, die Yōtei 6 in der Ezo-Region (heutiges Hokkaidō) aufzuspüren und zu töten.
13:44
Ghost of Yōtei ist das nächste Open-World-Highlight - mit einem Haken
Falls ihr übrigens Assassin’s Creed Shadows gespielt habt und gerade denkt, in einer Rache-Zeitschleife festzustecken, so können wir das gut nachvollziehen. Sowohl Ubisoft als auch Sucker Punch bedienen sich binnen weniger Monate nicht nur an einem recht ähnlichen Setting, sondern auch an der gleichen Story-Prämisse.
Rein vom Unterhaltungsfaktor kann Atsus Rachefeldzug jedoch unter anderem mit dem Aufgreifen moralischer Dilemmata – wie der Frage danach, ob Rache wirklich der Weg zur Erlösung ist oder alles nicht nur schlimmer macht – und dem ein oder anderen gelungen Twist problemlos mit der AAA-Konkurrenz aus dem Hause Ubisoft mithalten. Eine Geschichte oberster Güteklasse solltet ihr dennoch nicht erwarten.
Das liegt unter anderem daran, dass Ghost of Yōtei, wie auch viele andere Open World-Spiele, leichte Pacing-Probleme hat. Nachdem beispielsweise auch der sechste Bösewicht in allerletzter Sekunde unserem finalen Katana-Schlag entkommt und wir auf eine weitere Schnitzeljagd nach seinem neuen Aufenthaltsort geschickt werden, mussten wir doch etwas ungläubig die Augenbrauen nach oben ziehen.
Technik auf PS5 und PS5 Pro
Ghost of Yōtei hat sich beim Spielen auf PS5 und PS5 Pro in einem einwandfreien technischen Zustand präsentiert. Weder hatten wir größere Probleme mit der Framerate, noch mit Bugs oder häufigen Abstürzen. Lediglich beim schnellen Reiten durch die Spielwelt kann es zu kurzen Einbrüchen der Bildrate kommen. Folgende Grafik-Modi stehen euch zur Auswahl:
- Qualität: 30 fps bei erhöhter Auflösung
- Leistung: 60 fps
- Raytracing: 30 fps und verbesserte Lichteffekte
- Raytracing Pro: 60 fps und verbesserte Lichteffekte (nur PS5 Pro)
In allen vier Modi sind Cutscenes auf 30 fps begrenzt, in denen wahlweise gut vertontes Deutsch, Englisch oder im japanischen Original gesprochen wird. Die Sprache der Untertitel könnt ihr dabei frei wählen.
Die etwas zu lang gezogene Hauptgeschichte schafft es im Umkehrschluss aber auch, Atsu als zugleich verletzliche und dennoch überaus toughe Figur zu etablieren, die wir gerne gespielt haben. Auch was die Nebenfiguren inklusive der Yōtei 6 als Antagonisten anbelangt, wird kein durchweg klischeehaftes Schwarz-Weiß-Bild gezeichnet.
Im direkten Vergleich mit Ghost of Tsushima hat uns dort die etwas forciertere Geschichte von Jin, der die Regeln des Samurai-Daseins bricht, etwas mehr gepackt. Was aber nicht bedeuten muss, dass es euch genauso ergeht.
Ein Augenschmaus
Wir geben allerdings zu, dass es uns auch leicht fiel, der Yōtei-Geschichte die ein oder andere Länge zu verzeihen – einfach weil die Spielwelt so malerisch schön aussieht.
Zwar wird beim ersten Blick auf blühende Blumenwiesen, aufgewirbeltes Herbstlaub und sichtbare Windböen direkt klar, dass wir hier einen Teil der Ghost of-Reihe spielen. Das soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Ezo-Region nicht auch so manch frisches optisches Highlight zu bieten hat.
Wenn wir beispielsweise auf dem schneebedeckten Vulkan den Blick über die japanische Küstenregion schweifen lassen oder beim Ritt durchs weitläufige Startgebiet eine Pferdeherde im Sonnenuntergang an uns vorbei galoppiert, dann ist das ein absoluter Augenschmaus.
Mitunter kann Yōtei aber auch richtig düster sein, etwa bei noch lodernden Schlachtfeldern voller Leichen. An der Stelle sei angemerkt, dass das Action-Adventure vor expliziter Gewaltdarstellung nicht zurückschreckt, also zum Beispiel der ein oder andere Kopf abgetrennt wird oder Gliedmaßen nach intensiven Kämpfen im Matsch liegen. Übertrieben wirkt das aber nie und ab und an schwenkt die Kamera im Moment der Exekution auch mal zur Seite.
Wo wir gerade bei der Kamera sind. Wie Ghost of Tsushima setzt auch Yōtei auf häufige, cineastische Kameraschwenks. Erreichen wir beispielsweise einen hochgelegenen Fähigkeiten-Schrein, zoomt die Kamera heraus und zaubert so ein fantastisches Panorama. Zuletzt haben solche Schwenks auch in Death Stranding 2 für tolle Bilder gesorgt.
Drei grandiose Film-Modi
Nicht nur ist der Kurosawa-Modus zurück, mit dem ihr Ghost of Yōtei in Schwarz-Weiß-Optik erlebt, alternativ könnt ihr zudem in einen von Regisseur Takashi Miike (Dead or Alive, 1999) inspirierten Modus aktivieren, der mehr Schlamm und Blut hinzufügt und zudem den Bildausschnitt filmisch verkleinert.
Ein atmosphärisch ganz besonderes Highlight ist der Watanabe-Modus, benannt nach Anime-Regisseur Shinichiro Watanabe (Cowboy Bebop), der für Atsus Reise zusammen mit verschiedenenen Künstler*innen Lo-Fi-Musik komponiert hat, die ihr dann unter anderem beim Ritt durch die Spielwelt zu hören bekommt.
Hinzu kommt ein fantastischer Soundtrack, der besondere Story-Momenten mit japanischer Folklore und coolen Italowestern-Klängen noch mehr Atmosphäre verleiht. Der ein oder andere mag sich sicher noch an den Ritt nach Mexiko in Red Dead Redemption erinnern. Falls ja, ist er ein gutes Beispiel dafür, wie auch Ghost of Yōtei solche Szenen durch Gesang mit noch mehr Emotionen würzt.
Etwas kritteln müssen wir an der Präsentation dennoch. Zwar unterscheiden sich die Biome durch unterschiedliche Jahreszeiten – von eisigen Schneelandschaften bis zur sommerlichen Blütezeit – dennoch wirkt das Ganze auch recht gleichförmig.
Das mag am realen Vorbild liegen und gleichzeitig auch den geerdeten Ansatz von Ghost of Yōtei widerspiegeln. Da aber bereits Tsushima ähnlich aufgebaut war, hätten wir uns zumindest ein Areal gewünscht, das sich komplett davon abhebt – zum Beispiel mit einem Abstecher in eine größere Stadt, die wir länger erkunden können.
Eine motivierende Open World-Formel
Beim Aufbau der Spielwelt bleibt Sucker Punch seiner bewährten Open World-Formel ebenfalls treu, füllt die Areale jedoch mit einer Spur mehr Abwechslung.
So reiten wir weiter umher, baden in heißen Onsen für das Plus an Lebensenergie oder folgen Füchsen, um an wertvolle Crafting-Materialien zu gelangen. An einigen Orten zeichnen wir mit dem DualSense-Touchpad auf vorgegebenen, gestrichelten Linien jedoch auch die Spielwelt, um neue Skins für unsere Waffen zu erhalten.
An der Stelle sei übrigens angemerkt, dass Sucker Punch die Funktionen des PS5-Controllers durchaus kreativ und immersiv ins Gameplay einbindet. So können wir auch unser Lagerfeuer entfachen, indem wir in das Mikro des DualSense pusten oder durch Schlagbewegungen mit dem Pad unsere Waffen am Schmiedeamboss verstärken.
Die mit der Wölfin tanzt
In einer der neuen Nebenaufgaben befreien wir auch Wölfe aus der Gefangenschaft und wo wir gerade bei den Rudeltieren sind: Atsu wird auf ihrer Reise von einer Wölfin begleitet. Die Fähe läuft zwar nicht permanent neben der Ronin, rettet uns aber hin und wieder im Kampf vor dem nahenden Tod oder greift eigenständig Feinde an. Retten wir einen Wolf, können wir in einem separaten Fähigkeitenbaum eine neuen Skill für sie freischalten, was unsere Begleiterin insgesamt zu einer wenig aufdringlichen, aber dennoch coolen Unterstützung macht.
Ghost of Yōtei ist das Formelhafte der Spielwelt klar anzumerken und coole Zufallsevents, wie wir sie beispielsweise aus Dragon’s Dogma 2 kennen, sind hier rar gesät. Und dennoch schafft es kaum ein anderes Open World-Spiel, uns so beim "Abhaken" der Aufgaben zu motivieren – was wahrlich nicht nur an der schönen Kulisse liegt.
Einer der Hauptgründe dafür ist, dass vom super übersichtlichen Menü samt den Aufgabenkarten bis hin zur tollen Map kein Element erschlagend ist, sondern vielmehr motiviert. Es sind kleine Kniffe beim Design wie das Weglassen dutzender Fragezeichen auf der Karte, die eine große Wirkung haben.
Hinzu kommt, dass wir mit jeder abgeschlossenen Aufgabe eine nützliche Belohnung bekommen. Sei es eine neue schicke Samurai-Rüstung, eine durchschlagende Waffe oder einen Skillpunkt für Atsu – was die genau machen, dazu gleich mehr.
Zudem stolpern wir wie bereits auf Tsushima immer wieder über kleine Nebengeschichten, die teils rührende oder einfach nur spannende, mystisch-angehauchte Geschichten erzählen. Wir können euch daher nur empfehlen, auch mal die Hauptpfade zu verlassen und mit den Einheimischen zu quatschen.
Ein spektakuläres Kampfsystem
Doch was taugt eine unterhaltsame Geschichte, was taugt eine spaßige Spielwelt, wenn das Kampfsystem als wichtigstes Gameplay-Element nicht so richtig fetzt? Ja eben, nicht allzu viel.
Für Ghost of Yōtei können wir jedoch Entwarnung geben. Die wuchtigen Kämpfe machen nämlich mächtig Laune. Unter anderem deshalb, weil die Entwickler*innen Atsu eine große Auswahl an Nah- und Fernkampfwaffen ins Holster oder auf den Rücken packen. So schalten wir im Verlauf der Geschichte unter anderem ein Doppel-Katana, ein langes Odachi oder beispielsweise ein Kusarigama für die direkten Duelle frei.
Aus sicherer Entfernung können wir jedoch auch mit dem Bogen, verschiedenen Bombentypen, Kunai oder im späteren Verlauf des Spiels auch mit Schusswaffen feindliche Räuber, Samurai und wilde Bären ins Visier nehmen.
In Ghost of Tsushima hatte Jin mehrere Kampfhaltungen, Ghost of Yōtei setzt hingegen auf ein “Stein, Schere, Papier-System”, bei dem es für jeden Angriff und Gegnertyp ein passendes Gegenmittel gibt. So kontern wir mit dem Speer angreifende Feinde, die zwei Waffen tragen, während wir das lange Odachi schwungvoll auf große Barbaren stürzen.
Nach wie vor wichtig ist dabei das Parieren und das gut getimte Ausweichen, um im Gegenzug tödliche Hiebe auszuteilen.
Optionen für mehr Barrierefreiheit
Von “Locker” bis “Tödlich” habt ihr die Wahl aus fünf Schwierigkeitsgraden, die sich deutlich spürbar voneinander unterscheiden und auch nach dem Spielstart noch gewechselt werden können. Zudem könnt ihr euch auf Wunsch einen eigenen Grad der Herausforderung basteln und so beispielsweise das Zeitfenster für Paraden oder den erlittenen Schaden feinjustieren.
Folgende Accessibility-Optionen könnt ihr optional zuschalten:
- Zielhilfe
- visuelle Effekte können für gegnerische Angriffe erhöht werden
- kein Blut anzeigen
- Untertitel-Anpassungen
- Nachtmodus
Hinweis zur Tastenbelegung: Zwar lässt sich die Steuerung nicht frei belegen, dafür habt ihr die Wahl aus vier Controller-Schemata, die sich zur Hälfte auch an Linkshänder*innen richten.
Mit diesen Kampfsystem-Zutaten sind wir schon nach kurzer Zeit spektakulär durch die feindlichen Reihen gefegt. Spektakulär auch, weil sich Atsu an gefundenen Schreinen, die in ganz Ezo verteilt sind, allerhand neue Fähigkeiten antrainieren kann und wir uns bei jedem erworbenen Skill gefreut haben.
Werten wir beispielsweise das Kusarigama auf und donnern mit der schweren Kettenkugel auf die Holzschilde unserer Feinde, werden nahe Feinde ebenfalls zurückgeschleudert und erleiden leichten Explosionsschaden. Verbessern wir hingegen unseren Speer, können wir durch eine Spezialattacke Feinde regelrecht aufspießen oder sie mit einem mächtigen Kick über eine Klippe schleudern.
Wird eigentlich auch geschlichen? Stealth ist auch in Yōtei eine feste Gameplay-Säule. Mit dem Bogen aus dem hohen Gras heraus angreifen, Takedowns, Feinde ablenkende Wurfgefäße: all diese Elemente sind wieder mit dabei.
Hier hat uns die Abwechslung gefehlt
Das Kampfsystem wäre eine glatte 1, wenn sich auf Dauer eine wichtige Sache nicht spürbar abnutzen würde: die Gegnervielfalt.
In 95 Prozent der Zeit kämpft ihr gegen Feinde, die dasselbe Waffenarsenal nutzen, das auch Atsu zur Verfügung steht und die zu Fuß gemächlich auf ihr Duell mit der Ronin warten. Ab und an mischt sich ein bissiger Hund mit ein oder ein Bär lauert im Wald. Auch das mag wiederum zum geerdeten Setting und zur damaligen Zeit passen und ja, auch in Tsushima war das nicht groß anders. Dennoch hätte hier in einem zweiten Ghost of-Teil etwas mehr Kreativität beim Gegnerdesign nicht geschadet. Warum gibt es zum Beispiel keine Kämpfe gegen berittene Samurai?
Ghost of Yōtei ist alles, nur kein stumpfes Katana, … aber
Ghost of Yōtei ist unter dem Strich ein sehr gutes Open World-Spiel. Jedoch wie bereits Horizon Forbidden West oder Marvel's Spider-Man 2 kein Titel, der das Rad grundsätzlich neu erfindet oder wie The Last of Us 2 in außergewöhnliche Story-Windungen abdriftet.
Wir möchten abschließend nur nochmal hervorheben, dass sich beim Spielen für viele Tsushima-Fans das wohlige Gefühl des nach Hause kommens einstellen wird. Gehört ihr diesem Lager an, werdet ihr mit Atsus Reise richtig viel Spaß haben. Es kann aber auch sein, dass euch der besondere neue Twist fehlt und ihr zwar weiterhin Unterhaltung findet, jedoch nicht mehr so ganz aus dem Häuschen seid wie beim ersten Teil.
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